Obsession
Hals. Wider besseres Wissen hatte er sie auf Keiths Wunsch mitgenommen.
«Wenn du an dem Abend ein paar Aufnahmen machst, einfach ein paar Schnappschüsse von den Leuten, kriegst du vielleicht mehr
Aufträge von der Plattenfirma», hatte Keith gesagt, obwohl Ben ihm schon mehrfach erzählt hatte, dass er kein Interesse daran
hatte, mit Musikern zu arbeiten. Am liebsten fotografierte er entweder professionelle Models oder aber Leute, denen nicht
bewusst war, dass sie aufgenommen wurden. Auf vier oder fünf meistens unfotogene Typen, von denen mit Sicherheit immer einer
blinzelte, wenn er auf den Auslöser drückte, konnte er gut verzichten. Konzerte aufzunehmen war noch schlimmer. Ben hatte
es ein paarmal versucht, kurz nach dem Studium, als er sich noch einen Namen machen musste, es aber schnell aufgegeben. Im
Grunde interessierte er sich nicht genug für Musik, um diese Mühsal auf sich zu nehmen.
Er war bei seinem vierten oder fünften Bier, als Keith |23| neben ihm auftauchte. «Komm mit, ich stelle dich der Band vor», rief er gegen den hämmernden Beat an. Ben setzte eine begeisterte
Miene auf und folgte ihm durch das Gewimmel der Leute. In einem Separee waren ein paar Tische zusammengeschoben worden, auf
denen sich leere Flaschen und Gläser stapelten. Doppelt so viele Leute, wie eigentlich dort hineingepasst hätten, drängten
sich um die vier Berühmtheiten, die an einem Ende Hof hielten.
Keith grüßte sie wie alte Kumpels. Die herablassenden Blicke, die sie ihm schenkten, entgingen ihm offenbar. Er war zwar noch
nicht ganz dreißig, aber sein Anzug und sein ordentlich geschnittenes, bereits ziemlich dünnes, rötlich blondes Haar ließen
ihn neben Ben, der nur zwei Jahre jünger war, wie einen alten Mann erscheinen. Er spulte die Namen der Bandmitglieder herunter,
die sich Ben erst gar nicht zu merken versuchte. «Sie werden gewaltig durchstarten», schwärmte er an die Band gewandt.
Sie grinsten eingebildet zurück. «Ja, richtig», sagte einer von ihnen. «Gewaltig.»
Keith schien nicht aufzufallen, dass man sich über ihn lustig machte. Er klopfte Ben auf die Schulter. «Ben ist Fotograf.
Er will ein paar Fotos machen.»
Ben merkte mit Unbehagen, dass er ins Zentrum der Aufmerksamkeit geriet. Als sich die herablassenden Blicke auf ihn richteten,
stieg Wut in ihm auf. Ihr arroganten, kleinen Wichser, dachte er und starrte mit einem Leckt-mich-Lächeln zurück. «Wir sehen
uns gleich», sagte Keith dann, drückte aufmunternd seinen Arm und ließ ihn stehen.
Innerlich verfluchte Ben ihn. Und sich selbst. Er hätte sich denken können, dass Keith glaubte, er würde ihm einen Gefallen
tun. Gerade als er auch gehen wollte, sprach ihn eines der Bandmitglieder an.
|24| «Du willst also Fotos von uns machen, ja?»
Es war derselbe Typ, der Keith lächerlich gemacht hatte. Er war Ben als der Sänger vorgestellt worden. Ein langer Lulatsch,
der sich auf seinen Sessel gelümmelt hatte. Er trug ein enges schwarzes T-Shirt , hatte dichtes, dunkles Haar und sah auf eine aufsässige Art gut aus. Trotz der schummrigen Beleuchtung im Club waren seine
Pupillen auf die Größe von Stecknadeln geschrumpft, ein deutliches Zeichen dafür, dass er nicht nur mit Alkohol gefeiert hatte.
«Eigentlich nicht», entgegnete Ben.
Der Sänger zeigte auf die Kamera. «Und was soll dann das Teil da um deinen Hals? Ist das eine Kette, oder was?»
Am Tisch entstand Gelächter. «Ja, ganz genau», sagte Ben und wandte sich ab.
«Hey, komm schon, Mann, du sollst ein paar Fotos machen, oder? Wie wär’s damit?» Der Sänger machte einen Schmollmund und rekelte
sich wie ein Model.
Normalerweise hätte Ben gegrinst und wäre gegangen. Doch die Biere, die er getrunken hatte, hatten seine Laune noch verschlechtert.
Und er hatte sie auf leeren Magen getrunken.
«Tut mir leid, Arschlöcher fotografiere ich nicht», sagte er. Die Stimmung am Tisch kippte sofort um. Der Sänger richtete
sich auf, das Lächeln war ihm vergangen. «Wie redest du eigentlich mit mir, du Wichser? Und wer hat dich überhaupt eingeladen?
Bist du nur hergekommen, um ein paar Drinks zu schnorren, oder was?»
Ben stellte sein Bier behutsam auf den Tisch. «Nein, ich bin wegen der gepflegten Konversation gekommen», sagte er, was ein
schöner Schlusssatz gewesen wäre, wenn der Sänger nicht ein Glas genommen und ihm, ehe er sich rühren konnte, den Inhalt ins
Gesicht geschüttet hätte.
|25| Während das
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