Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
sollte ich mich nur zu meinem eigenen Schutz verwandeln, um mich in Zukunft gegen andere verteidigen zu können, falls es nötig werden sollte.«
»Paige«, sagte ich sanft und drückte ihre Hand. »Als ich in Bettys Haus war, hat Oliver mich angegriffen und niedergeschlagen.«
»Oliver? Der ist doch bestimmt hundert Jahre alt und könnte nicht mal eine Mücke erschlagen, ohne sich was zu brechen.«
»Dann ist er wohl stärker geworden, seit der unter Bettys Bann steht.«
»Unter ihrem Bann ?«
Ohne weitere Anhaltspunkte hatten Willa und ich nur Vermutungen anstellen können, aber die folgende Erklärung kam uns am wahrscheinlichsten vor. »Wir glauben, dass die Sirenen es mit ihren Gedankenkräften irgendwie geschafft haben, Betty zu kontrollieren. Jetzt hilft sie ihnen, und Oliver scheint auch keinen eigenen Willen mehr zu haben, denn er bemuttert die Sirenen regelrecht. Außerdem sollte Betty dafür sorgen, dass du auch eine von ihnen wirst.«
Sie schaute mir noch einen Moment in die Augen, dann riss sie ihre Hand weg, fegte die Zeitung und die Mails beiseite und griff nach ihrem vorigen Lesestoff. »Es ist ja nett von dir, dass du dich um mich sorgst, aber die ganze Geschichte vom Sommer ist aus und vorbei. Vorbei , verstehst du? Du solltest endlich loslassen und nach vorne schauen.«
Wie ich mir wünschte, dass es so einfach wäre.
»Ich habe sie gesehen«, sagte ich. »Zara und mindestens ein Dutzend anderer Sirenen. Sie kurieren sich schlafend in Bettys Keller, treiben in hölzernen Bassins, die mit Meerwasser gefüllt sind – und in einem davon habe auch ich gelegen.«
Die Zeitschrift in ihrer Hand bebte. Ich starrte auf die Bettdecke, während ich sprach. Hätte ich Paige angeschaut, wäre ich mit meinem Geständnis nicht zu Ende gekommen.
»Glaub mir, du willst dich nicht verwandeln, Paige«, fuhr ich leise fort. »Wer möchte schon die ganze Zeit unter Müdigkeit, Schwächeanfällen und schrecklichem Durst leiden? Du musst ständig trinken und in Salzwasser baden, und nach einer Weile musst du anfangen, Jungs zu verführen, nur um genug Energie zu haben, damit du nicht zusammenklappst. Dein Leben wird sich völlig verändern, und zwar für immer.«
Auf meine Worte folgte ein langes Schweigen. Draußen heulte der Herbstwind und wirbelte tote Blätter gegen das Fenster. Ich hob meinen Blick, doch Paige starrte noch immer auf die Zeitschrift und schien nicht einmal zu blinzeln.
»Woher weißt du das?«, flüsterte sie schließlich.
Jetzt kam also der Moment, in dem ich mit der Wahrheit herausrücken musste, die ich drei unerträglich lange Monate vor ihr verborgen hatte. Mein Geheimnis laut auszusprechen würde es gleich viel realer werden lassen.
Aber was nützte es schon, eine Tatsache zu verleugnen, die sich nicht mehr ändern ließ?
»Weil ich eine von ihnen bin«, gestand ich.
Sie sprang auf, doch genau in diesem Moment öffnete sich schwungvoll die Tür, und Mom kam mit einem Tablett herein, auf dem sie einen Brotteller und ein Mineralwasser balancierte.
»Ich dachte, du fühlst dich wahrscheinlich noch zu schwach, um zum Abendessen nach unten zu kommen.« Mit diesen Worten platzierte sie das Tablett auf dem Nachttisch und zog ein Thermometer aus der Tasche. Paige schien es zuerst gar nicht zu sehen, denn sie starrte immer noch ins Leere, doch als Mom mit dem Ding vor ihrer Nase wedelte, sperrte sie bereitwillig den Mund auf. »Für dich habe ich auch genug mitgebracht, Vanessa.«
»Danke. Aber ich habe eine Verabredung.«
Beide Köpfe fuhren zu mir herum. »Meinst du etwa ein Date?«, fragte Mom.
»Wir treffen uns nur zum Lernen«, erwiderte ich und wich Paiges fragendem Blick aus.
Ich stand auf und wartete am Fußende des Bettes darauf, dass Mom verschwand. Aber sie zupfte erst noch Paiges Bettdecke zurecht und schüttelte ihr das Kissen auf. Seit dem Badewannen-Zwischenfall gluckte sie mit mütterlichem Übereifer um Paige herum und sorgte dafür, dass es ihr an nichts fehlte. Für diese neue Verantwortung brachte sie genauso viel Energie und Konzentration auf wie früher für ihre Arbeit, was ich ermutigend fand. Gleichzeitig bedeutete es, dass Paige selten allein war und ich unbesorgt zur Schule gehen, Willa besuchen und andere wichtige Dinge erledigen konnte, ohne fürchten zu müssen, dass meine Freundin noch einmal eine Verwandlung versuchen würde.
Leider war Mom so gründlich, dass ich keine Chance hatte, mein Gespräch mit Paige fortzusetzen. Nach dem Kissenschütteln
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