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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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schüttelte den Kopf. »Nur in Europa«, antwortete er und fragte, ob er rauchen dürfe.
    »Natürlich«, sagte Klein und zog hinter einem der Papierstapel einen runden Aschenbecher aus Glas hervor. Es war deutlich, daß er genau wußte, wo sich jedes einzelne Ding befand.
    »Alles, was ich bisher gesagt habe, war die Einleitung. Worüber ich eigentlich sprechen wollte, war Idos Zustand, als er von dort zurückkam. Man mußte ihn kennen, um zu verstehen, was für eine ungeheure Veränderung mit ihm geschehen war.« Klein schwieg einen Moment, als sehe er Ido Duda'i vor sich, dann sprach er weiter: »Vielleicht fragen Sie sich, wieso zwischen uns, obwohl er nicht mein Student war, das heißt mein Doktorand, ein so enges Verhältnis bestand. Natürlich hat er meine Vorlesungen besucht, er hat sogar an Seminaren teilgenommen, aber das Verhältnis zwischen uns ging darüber hinaus. Man mußte einfach beeindruckt sein von seiner wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit und seiner persönlichen intellektuellen Gradlinigkeit. Er war ein kluger und aufrichtiger junger Mann, obwohl er nicht die Leichtigkeit besaß, die man sich für sein Alter wünscht, er war nicht ausgelassen, aber auch nicht depressiv. Auf eine seltsame Weise könnte man sagen, er war ein psychisch vollkommen unkomplizierter Mensch, obwohl er durchaus sensibel war. Aber überhaupt nicht launisch. Ofra, meine Frau, mochte ihn sehr, und er war viele Male hier. Scha'ul war das nicht recht. Er spottete oft, offen und hinter meinem Rücken, über meine ›familiären Neigungen‹. Die Tatsache, daß ich Menschen wie Ido oder Ja'el Eisenstein zu mir nach Hause einlud, daß ich sie meiner Frau und meinen Kindern vorstellte, daß sie bei uns aßen, war seiner Meinung nach ein eindeutiges Überbleibsel meiner Jugend in Rosch-Pina, wo, wie er es nannte, ein ganz besonderer Menschenschlag lebt. Als Ido schrieb, daß er in die Staaten kommen wolle, und uns bat, ihm beim Suchen einer Unterkunft behilflich zu sein, fanden wir es ganz natürlich, ihm anzubieten, er könne bei uns wohnen. Wir lebten in einem großen, geräumigen Haus mit einer abgetrennten Gästewohnung. In dem Jahr, in dem wir dort waren, haben wir oft Gäste aufgenommen. Es war ein Holzhaus auf dem Gelände der Marineakademie, mein Onkel ist dort Professor für Astronomie. Die Juden sind schon ein seltsames Volk.« Arie Klein legte die Hände zusammen, drehte sich seufzend um und schaute hinaus in den Garten.
    Es herrschte die typische Stille eines frühen Nachmittags in Rechawja. Nur das Zwitschern von Vögeln war zu hören, und leise Musik. Michael wunderte sich, warum der andere nicht zur Sache kam. Da drehte sich Klein wieder um und sagte: »Ich habe das Bedürfnis, Ihnen den Hintergrund der Dinge zu erklären, als Exposition sozusagen, damit Sie verstehen, wie seltsam Ido war, als er von North Carolina zurückkam. Am ersten Tag sagte er nichts. Er kam spät an, etwa um elf Uhr abends – ich erinnere mich genau, weil ich mir schon Sorgen gemacht habe, in einem fremden Land, mit seinem Schulenglisch, ich habe gedacht, er wäre mit dem Auto irgendwo steckengeblieben. Ich machte mir Sorgen und wartete auf ihn. Schon als er zur Tür hereinkam, fragte ich, was los sei, weil er so blaß war und dunkle Ringe unter den Augen hatte, seiner Kleidung war allerdings nichts anzusehen. Er sagte, er sei bloß müde, und ich erinnere mich gut, was für einen seltsamen Blick er hatte, irgendwie erloschen. Doch ich habe seine Erklärung, er sei müde, akzeptiert.«
    Klein deutete auf die Zigarettenschachtel, die auf dem Tisch lag, und fragte: »Darf ich?« Michael machte schnell eine einladende Handbewegung, zündete ein Streichholz an und beugte sich vor.
    »Ich habe vor fünf Jahren aufgehört zu rauchen«, sagte Klein verlegen, dann sprach er schnell weiter: »Am nächsten Tag kam er nicht zum Frühstück herunter. Ich fuhr zu meiner Vorlesung, ohne ihn gesehen zu haben. Ich dachte natürlich, er schlafe noch. Ofra und die Mädchen waren nicht in der Stadt, sie trafen ihn damals nicht. Ich erinnere mich noch ganz genau an alles. Als ich zurückkam, fand ich ihn zu Hause vor, er saß im dunklen Wohnzimmer. Ich weiß nicht, ob ich es Ihnen richtig erklären kann«, Klein seufzte und stieß weißen Rauch aus, »Ido hatte nichts Romantisches, nichts irgendwie Extremes, und ich kannte ihn vom Beginn seines Studiums an, immer war er liebenswürdig und höflich. Sogar als seine Tochter geboren wurde, drehte er nicht durch. Er

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