Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
dachte Michael, ihm selbst und seinen Fragen.
Vom Schreibtisch kam ein beharrliches Summen. Klein schob einen Papierstapel zur Seite und nahm den Telefonhörer ab. »Einen Moment«, sagte er und hielt Michael den Apparat hin. Eli Bachars Stimme kam aus dem Hörer.
»Kannst du reden?« fragte Bachar.
»Ich höre«, antwortete Michael und erfuhr, daß der Gasbehälter in Tiroschs Schuppen nur Gas zum Kochen enthalten habe.
Michael schaute zu Arie Klein, und für einen Moment trafen sich ihre Augen, dann wandte Klein den Kopf und betrachtete diskret die Wand gegenüber, wie um zu zeigen, daß er nicht zuhörte.
»Okay. Was läuft sonst?« fragte Michael.
»Wir schauen uns die Papiere an, die wir vom Har haZofim mitgenommen haben, Elfandari und ich. Wo Balilati ist, weiß ich nicht. Zila hilft uns bei den Papieren. Wir haben Schaj zum Detektor bestellt, er hat nichts dagegen gehabt. Kommst du von dort hierher?«
»Weiß ich nicht«, sagte Michael, »aber ich rufe an. Wieviel Uhr ist es jetzt, halb drei? Ich melde mich gegen fünf.«
Klein wirkte wie erschöpft von dem Eifer, mit dem er über Ido gesprochen hatte. Er lächelte, als Michael nach den Dichtern fragte, die Tirosch verletzt haben könnte.
»Möchten Sie wissen, wie er mit Anfängern gearbeitet hat?« fragte er.
»Ja. Wie ist das abgelaufen? Haben ihm Leute Manuskripte geschickt?«
»Hunderte«, erwiderte Klein. »Er hat sich immer darüber beklagt, obwohl es ihm natürlich auch Spaß gemacht hat. Manchmal hat er mir ein Manuskript gezeigt. Prosatexte hat er sofort an Dita Fuchs weitergegeben. Er selbst hat in den letzten Jahren nur Gedichte gelesen.«
»Und der Aufsatz über das letzte Kapitel von Schira?« fragte Michael.
»Schira? Sie meinen das Buch von Agnon?« Klein machte ein erstauntes Gesicht. »Ich habe keine Ahnung, er hat sich nie mit Agnon beschäftigt.« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Soweit ich weiß, jedenfalls.«
Michael erkundigte sich nach der Prozedur, wie die Manuskripte ankamen, wie sie zurückgeschickt wurden.
»Die Absender gaben ihre Adresse oder eine Telefonnummer an, es sei denn, ein Bekannter überreichte sie persönlich«, erklärte Klein. »Und im Gegensatz zu Seminararbeiten hat Tirosch sehr schnell auf Manuskripte reagiert. Sein ganzes Leben lang war er damit beschäftigt gewesen, begabte junge Leute zu entdecken, er hat nie seinen Wunsch versteckt, daß er so etwas wie ein ›Arbiter poeticum‹ sein wollte, ein Kunstrichter.«
Michael erwähnte Tiroschs Sitzungen im Café Roval in Tel Aviv, und Klein lächelte einen Moment, dann meinte er zweifelnd: »Nein, Erbarmen war ein Gefühl, das ihm fremd war, vor allem, wenn es sich um Kunst handelte, er war manchmal grausam. Andrerseits habe ich ihm das nie vorgeworfen, ich glaube, daß Menschen, die sich mit Kunst beschäftigen, sich bewußt entblößen, und ein Teil dieser Entblößung ist künstlerischer Art. Auf diesem Gebiet hatte Tirosch keine Konkurrenz, er war ein ausgezeichneter Kritiker.«
Wieder klingelte das Telefon, Klein nahm den Hörer auf und lauschte. Sein Gesicht wurde weich, er warf Michael einen besorgten Blick zu und sagte: »Versuche dich zu beruhigen, ich rufe dich an, sobald ich kann.«
Er legte den Hörer auf. »Das war Ja'el Eisenstein. Wie Sie wissen, ist sie eine meiner Doktorandinnen. Sie ist wieder verhört worden, und auch die Sache mit dem Detektor macht ihr zu schaffen. Sie ist sehr verletzlich.«
»Ach ja?« sagte Michael und merkte selbst, wie aggressiv seine Stimme klang. Er war die väterlich-beschützende Haltung leid, die Klein zeigte, wenn es um seine Studenten ging. Er fragte sich insgeheim auch, inwieweit Ja'els Schönheit diesen großen Mann beeinflußte, der ihm gegenübersaß und nervös mit einem Brieföffner spielte.
»Haben Sie gewußt, daß sie mit Scha'ul Tirosch verheiratet gewesen war?« fragte Michael. Kleins Gesicht wurde von einer leichten Röte überzogen. Er blickte Michael vorsichtig an und sagte protestierend: »Das ist doch Jahre her und längst vergessen.« Er legte den Brieföffner vor sich auf den Tisch.
»Haben alle davon gewußt?«
»Nein«, sagte Klein und wischte sich mit seinen großen Händen über das Gesicht. »Ich glaube nicht, daß alle es wußten. Scha'ul hat nie darüber gesprochen, und auch Ja'el zog es vor ... hm ... sich nicht zu erinnern.«
Michael schwieg, und Klein blickte sich unbehaglich um, doch schließlich, als gebe er auf, schaute er seinem Gegenüber in die Augen.
Vor
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