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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Ich versuchte auch, das Thema zu wechseln, aber er war abwesend. Ich weiß nicht«, Klein drückte seine Zigarette aus, »wo Ido in jener Nacht war, irgendwo zwischen New York und North Carolina. Es war nur klar, daß er eine schwere Krise durchmachte, etwas Schreckliches war passiert, aber ich weiß nicht, was es war, denn in den beiden Tagen, die ihm noch blieben, bis er nach Israel zurückflog, verließ er früh das Haus und kam spätabends zurück. Als ich ihn zum Flughafen brachte, versuchte ich, mit ihm zu reden, aber er sagte nur: ›Zuerst muß ich mit Tirosch sprechen.‹ Das waren die letzten Worte, die ich von ihm gehört habe.«
    »Haben Sie mit dem Rechtsanwalt gesprochen?« fragte Michael.
    »Nein, ich kenne ihn nicht. Aber vielleicht hätte ich das tun sollen ... denke ich jetzt ...« Klein blickte ihn erschrokken an.
    »Aber Sie haben doch den Namen und die Adresse des Mannes?« fragte Michael gespannt.
    Klein nickte eifrig, dann schaute er sich enttäuscht um. »Ich habe sie, aber ich muß sie suchen. Soll ich gleich suchen?«
    »Das kann noch ein bißchen warten«, meinte Michael, und dann fragte er, ob Klein Scha'ul Tirosch gut gekannt habe. Er fühlte, daß sein Gesprächspartner erregt und angespannt war, als er antwortete: »Es ist so, wie ich gesagt habe, Sie sind ja nicht der erste Mensch, der mich das fragt, und um die Wahrheit zu sagen, in der letzten Zeit frage ich mich das selbst unaufhörlich. Aber bis jetzt habe ich geglaubt, daß ich ihn kenne, das heißt, ich kannte ihn. Ich kannte ihn, seit er nach Israel gekommen ist. Wir haben zusammen studiert, noch in Terra Santa. Er hat uns regelmäßig mindestens einmal in der Woche besucht, bis auf die letzten Jahre.«
    »Was war in den letzten Jahren passiert?« fragte Michael, und wieder bemerkte er, wie sich die vollen Lippen Kleins verzogen. Sie waren, entschied Michael, der ausdrucksvollste Teil seines Gesichts.
    »Schwer zu sagen«, sagte Klein langsam. »Aber ich denke, daß wir uns im Laufe der Zeit immer unterschiedlicher entwickelt haben. Er wurde extremer, und auch ich wurde, in gewisser Hinsicht, extremer, auf meine Art eben, und es gab auch alte Differenzen, die sich im Lauf der Jahre angestaut haben, wie man so sagt. Beschwerden von Studenten über Noten, die er gegeben hatte, als ich Vorsitzender der Abteilung war, Verpflichtungen, die er nicht eingehalten hat, Grundsatzdiskussionen bei Sitzungen – Diskussionen, die offenbar unsere persönliche Beziehung nicht berührten, aber es ist schwer, mit jemandem zusammen an einem Tisch zu sitzen und zu essen, wenn man ihm zuvor Sachen an den Kopf geworfen hat, die sein fanatisch verteidigtes ›Credo‹ in Frage stellen. Es gab nur wenig, bei dem wir einer Meinung waren, und eigentlich nehme ich an, daß Sie, hätten Sie uns beide gekannt, sich eher über die Tatsache einer Beziehung zwischen uns gewundert hätten als über ihr Nachlassen. Verstehen Sie: Es hat sich kein Drama abgespielt, es gab keinen Krieg, es wurde auch nichts abgebrochen, es war nur ein Schwächerwerden, ein Nachlassen. Er besuchte uns seltener, und wenn er kam, wußten wir oft nicht, worüber wir sprechen sollten.«
    Klein schwieg eine Weile, als sehe er das Bild vor sich. »Ofra, meine Frau, hat gesagt, er würde uns verachten, unser bürgerliches Leben, aber ich neige zu der Meinung, daß es andere Dinge waren. Ich zweifle nicht daran, daß sein Leben, seit er aufgehört hatte zu schreiben, leerer und leerer wurde. Man kann die verschiedensten Meinungen über Scha'ul hören, aber alle sind sich einig, daß er die Qualität eines Gedichts erkennen konnte, und niemand wird mir weismachen, daß er selbst seine letzten Gedichte, die politischen, für gut hielt. Er schätzte sie sicher richtig ein. Und wenn er nicht fähig war zu schreiben, was für eine Berechtigung hatte seine Existenz dann? Das heißt, ein Leben, wie er es führte, kinderlos, auf Vergnügen ausgerichtet, immer unbefriedigt? Was hatten wir vorzuweisen, außer daß wir ein Spiegel seiner Unfruchtbarkeit waren?«
    Michael fragte schnell: »Vielleicht hat er einfach andere Freunde gefunden? Wie die Familie Schaj, zum Beispiel?«
    Arie Klein wurde rot und schwieg. Dann senkte er die Augen und sagte: »Vielleicht, ich weiß es nicht.« Er hob den Blick. In seinen offenen Augen las Michael Verständnis und Schmerz, aber auch Abscheu, und er wußte nicht, ob das Scha'ul Tirosch galt oder der Beziehung Tiroschs zu Tuwja und Ruchama Schaj, vielleicht auch,

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