Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
andere Dinge hinter diesen Worten, er hört das Sterben der Lebensfreude, die Weiblichkeit, die es gegeben hat und die jetzt nicht mehr ist, die jetzt erstarrt ist. Es geht um Einsamkeit, darum, jahrelang in einem Haus zu warten, das als Gefängnis betrachtet wird ... es geht um tausend Dinge.«
Er schaute Michael an, als sehe er ihn zum ersten Mal. »Und es gibt noch eine Komponente«, sagte er. »Man nennt sie Verdichtung. Ein Gedicht kann unter einem Begriff mehrere Begriffe zusammenfassen, oder mehrere universale Ereignisse. Lea Goldberg hat gesagt, daß ein Gedicht ein ›konzentrierter Ausdruck‹ sei.« Er streute schwarzen Pfeffer über das Ei auf seinem Teller. »Sie sind miteinander verbunden, diese beiden, die Verdichtung und die Symbolisierung.«
Er schnitt sich ein Stück gesalzenen Käse ab, steckte ihn in den Mund und fuhr fort: »Ein Satz wie ›Der Tod kam zu dem Schaukelpferd Michael‹, in einem Gedicht von Nathan Sach, enthält die Personifizierung des Todes, er weckt auch die Assoziation von Kindheit, wegen des Schaukelpferdes, und er enthält die Anspielung auf das Kinderlied über den kleinen Michael. Die Symbolisierung und die Verdichtung ermöglichen eine Abstraktion und den Zugang zu anderen Bereichen.«
Klein stieß einen tiefen Atemzug aus. »Und jetzt hören Sie genau zu. Das dritte, was sich in jedem guten Kunstwerk findet, ist das, was man Verschiebung nennt, die Übertragung eines Gefühls von einem Bereich auf einen anderen. Ein wunderbares Beispiel für ein Gedicht, das auf Verschiebung basiert, finden Sie bei Ibn Gabirol. Sieh die Sonne. Kennen Sie es?«
Michael schluckte schnell ein Stück Käse hinunter, roch den Duft der griechischen Oliven und nickte.
»Sieh die Sonne am roten Abend
Als hätte sie sich rot verkleidet.
Sie breitet sich nach Süden, Norden
Und Wind vom Meer deckt Argamon
Und das verwaiste Land liegt nackt
Vom Schatten der Nacht bedeckt
Und dann wird der Himmel so dunkel
Als trage er Trauer um den Tod Jekutiels«,
sagte Michael in einem etwas spöttischen Ton.
Klein ging auf diesen Ton nicht ein, er sprach weiter: »Ibn Gabirol beschreibt den Sonnenuntergang als einen Prozeß, in dem die Welt verwaist, in dem die Sonne sie verläßt, und schließlich zeichnet er die Beziehung zwischen der Verwaisung der Welt und dem Unglück, von dem die Rede ist – das ist Verschiebung. Hier überhöht sie das Erlebnis des Sprechers ganz ungeheuerlich.«
Er aß genüßlich von dem Ei und häufte sich Salat auf den Teller. »So«, fuhr er fort, nachdem er die Gabel neben den Teller gelegt und sich vorgebeugt hatte, »sind die Dinge also ineinander verwoben. In jeder guten Metaphorik werden Sie irgendwie diese drei Elemente finden. Doch es muß ein zartes Gleichgewicht zwischen ihnen bestehen. Eine Metapher darf nicht zu weit von dem Objekt entfernt sein, das sie repräsentiert, wie zum Beispiel«, er hustete, »hmm ... ›die Wangen der Butter sind rot‹ oder ›der Winter ist stark‹ ... Möglicherweise findet man da eine gewisse Symbolik, aber es fällt mir schwer, sie zu entdecken, weil die Metapher zu offen ist, sie ermöglicht zu viele Assoziationen, in fast unbegrenzter Zahl.« Er stand auf, ging zur Anrichte, um Kaffee zu machen.
Die kleine Kaffeemühle machte einen schrecklichen Lärm, er sprach erst weiter, nachdem er das Produkt des Mahlens geprüft hatte. »Wenn man also eine Metapher oder ein Symbol benutzt, so muß es originell und neu sein, damit es dem Leser das, was er kennt, in einem neuen, anderen Licht zeigt. Schließlich«, er schwenkte die kleine kupferne Stielkanne, »sind die Themen, die den Künstler beschäftigen, immer die gleichen wenigen Themen, die sich stets wiederholen. Haben Sie sich einmal gefragt, um was es bei Kunstwerken geht? Um Liebe, Sexualität, Tod, um den Sinn des Lebens und um den Kampf des Menschen mit seinem Schicksal, mit der Gesellschaft, sein Verhältnis zur Natur und zu Gott. Was noch?«
Jetzt hielt er eine kleine Tasse in der Hand, mit deren Hilfe er Wasser in die Stielkanne goß. Vorsichtig kippte er einige Löffel gemahlenen Kaffee und Zucker hinein und stellte sie dann aufs Gas. Wieder stand er mit dem Rücken zu Michael, während er rührte.
»Die Größe der Kunst«, sagte er, »steckt in der Möglichkeit, das, was allen Menschen gemeinsam ist, neu zu beurteilen, aus einem anderen Blickwinkel heraus. Wenn ein Künstler Symbole schafft, die zu weit vom Thema entfernt sind, wenn seine Metaphern zu
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