Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
›offen‹ sind, dann kann der Prozeß, den ich beschrieben habe, nicht stattfinden, dann ist die Metapher zu banal. Ich spreche von der Banalität von Metaphern, aber ich meine auch Analogien, Reime, Syntax, Zeilenumbruch und alles, was ein Gedicht ausmacht. Das Wort ›Begabung‹ bedeutet eigentlich die Fähigkeit, das zarte Gleichgewicht zu schaffen, das so selten ist, zwischen dem Originellen und dem Allgemeinen, dem Verborgenen und dem Offenen, dem Symbol und dem Objekt, das man symbolisieren will.«
    Mit einer schnellen Bewegung nahm Klein die Kanne vom Feuer und stellte sie auf die Marmorplatte. Dann kippte er Kaffee in zwei Mokkatäßchen aus weißem Porzellan mit Goldrand. »Die Metaphern, die Ja'el benutzt hat, sind wirklich erschreckend banal, sie sind ›zu‹, hätte Scha'ul gesagt und damit gemeint, daß sie keinen Raum für eigene Vorstellungen lassen, für Assoziationen. Nicht nur, weil sie zu abgegriffen sind, sondern weil ihnen das Dialogische fehlt, das zwischen dem Konkreten und dem Abstrakten sein muß. Amichais Gedichte zum Beispiel basieren genau auf diesem Zusammenspiel von Konkretem und Abstraktem. Denken Sie mal an einen Satz wie ›An einem Ort, an dem wir recht haben, werden nie Blumen im Frühling blühen‹. Oder, wenn Sie ein Beispiel für den kontrapunktischen Gebrauch von Konkretem und Abstraktem wollen, nehmen Sie die Gedichte von Dan Pagis, einen Satz wie diesen: ›Und er in seiner Güte ließ in mir nichts, was sterben wird.‹ Hier finden Sie keine klare Aufteilung zwischen konkret oder abstrakt, sondern es ist dem Text inhärent, im Zusammenspiel substantialisieren sie den Eindruck. Das ist einer der poetischsten und aufregendsten Sätze, die ich je gelesen habe.«
    Klein trank den dampfenden Kaffee mit einem Schluck. Auf seinen Lippen blieben Spuren zurück. »In ihren Gedichten ist nichts von all den Dingen, über die ich gesprochen habe, und vermutlich wird auch nie etwas darin sein, so leid es mir tut.«
    Um fünf Uhr nachmittags verließ Michael Ochajon Kleins Haus. Klein brachte ihn zum Auto, während er eine bekannte Melodie vor sich hin summte. Erst an der Kreuzung von Terra Santa, vor der Ampel, fiel Michael ein, welche Melodie es war: Sarastros Arie aus der Zauberflöte, einer seiner Lieblingsopern.
    Es war noch immer heiß, und die Straßen waren voller Menschen, die sich nicht um Tote und Mörder kümmerten.

    »Dein Sohn läßt dir ausrichten, daß er im Büro der Gesellschaft für Naturschutz ist. Er war hier und hat mich gebeten, dir zu sagen, du könntest ihn dort treffen, wenn du rechtzeitig zurückkommst. Das Büro ist neben der Hypothekenbank, du weißt ja«, sagte Avram von der Zentrale in einem vertraulichen Tonfall. Er wußte es, aber was hieß »rechtzeitig«? Bis wann wollte Juval dort sein? »Bis sechs, hat er gesagt. Er ist erst vor ein paar Minuten rausgegangen«, erklärte Avram.
    Michael fuhr zum Büro der Gesellschaft für Naturschutz. Er parkte das Auto neben der Hypothekenbank und betrat den großen, von Gebäuden umgebenen Hof. Noch eines der Schlösser, die Prinz Sergio gebaut hatte. Ein zufälliger Passant, der Jerusalem nicht kennt, würde sich nicht im Traum vorstellen, was sich hinter diesen Fassaden verbirgt, dachte Michael. Ein großes, altes Tor in einer Mauer an einer Hauptstraße, und wenn man hindurchgeht, betritt man eine andere Welt. Wie betäubt steht man in einem Innenhof, vor dem Schloß, als ob die Geister von damals einen auffordern würden, das prächtige Gebäude zu betreten.
    Erst saß Michael auf einem Holzklotz vor dem Schloß und wartete, daß Juval endlich fertig würde und aus dem Bungalow im Hof, wo die Gesellschaft für Naturschutz ihr Büro hatte, herauskäme. Dann stand er auf und lief in dem staubigen Hof herum. Ein Flügel des Gebäudes diente als Landwirtschaftsministerium, aber Michael zog es zu dem zerstörten Flügel des Schlosses, dem unbewohnten. Dort stand er und spähte durch die Ritzen der mit Brettern vernagelten Fenster, an denen sich Efeu emporrankte. Er ging hinein. In den Zimmern war es dämmrig, trotzdem konnte er Zeichnungen erkennen, das Fresko mit dem russischen Muster an der Decke des großen Zimmers. Es gab auch ein altes Badezimmer mit Resten von armenischen Keramikkacheln. Die Badewanne stand auf vier eisernen Löwenpranken. Die Sohlen von Michaels Sandalen knirschten auf den großen Fliesen. Er betrat ein anderes Zimmer und betrachtete erstaunt die Papiere, die überall auf dem Boden

Weitere Kostenlose Bücher