Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
verstreut waren. Er hob ein vergilbtes Blatt auf und studierte die mit einer Feder geschriebenen kyrillischen Buchstaben. Schon oft hatte er bedauert, daß er seinen Einführungskurs in Russisch abgebrochen hatte, aber damals hatte er Latein lernen müssen, für das Studium des Mittelalters, das hatte seine ganze Zeit beansprucht. Er ließ das Blatt auf andere, ebenfalls vergilbte Blätter fallen.
Dann trat er aus dem Schloß hinaus ins Sonnenlicht. Es war fast sechs und noch immer sehr hell, obwohl das Licht schon weicher und blasser geworden war. In der Tür des Bungalows der Gesellschaft für Naturschutz stand Juval und blickte sich suchend um. Erst als Michael näher kam, wich der besorgte Ausdruck aus seinem Gesicht. »Ich habe nicht gewußt, ob ich dich erwische, ich brauche Geld für den Ausflug, von dem ich dir erzählt habe, in die judäischen Berge.«
»Das ist alles?« fragte Michael und legte seinen Arm um Juvals Schultern, die von Tag zu Tag breiter wurden.
Zusammen betraten sie das Büro. Ein junger Mann mit kurzen Hosen stand dort und erzählte begeistert von einem seltenen Vogel, den er bei seiner letzten Beobachtungstour entdeckt hatte.
Michael dachte an seinen Freund Usi Rimon aus dem Tauchclub, als er den Scheck ausschrieb und ihn einem der beiden Mädchen in Jeans reichte. Sie lächelte ihn freundlich an und gab Juval die Quittung. Juval faltete sie zusammen und steckte sie in seine hintere Hosentasche, und auf seinem angespannten Gesicht zeigte sich Erleichterung.
Michael fühlte sich plötzlich bedrückt. Tage waren vergangen, ohne daß er den Jungen gesehen hatte.
»Komm, laß uns den Wagen beim Büro parken«, sagte er, als sie hinausgingen, »und uns noch irgendwo ein bißchen hinsetzen.«
Gegenüber der Hypothekenbank, neben dem hinteren Tor des Migrasch ha-Russim, stand ein Polizist Wache. Gehorsam öffnete er das Tor für Michaels verstaubten Ford Escort.
Als sie aus dem Auto stiegen, rief Juval plötzlich ganz begeistert: »Schau mal, was für ein Auto da steht. Schau doch nur! « Zart berührte er mit der Hand einen glänzendweißen Kotflügel. »Was ist das? Schau nur, sogar die Sitze sind gestylt.«
Michael beugte sich über das Auto. »Ein Alfetta GTV, davon gibt's nur zwei in ganz Israel. Er gehört keinem von uns.«
»Wem gehört er?« fragte Juval begeistert.
»Er gehört jemandem, der ihn nicht mehr benutzen wird«, seufzte Michael und drückte auf den Türgriff. Das Auto war nicht abgeschlossen. Juval warf ihm einen flehenden Blick zu und machte die Beifahrertür auf. Michael setzte sich neben ihn und steckte sich eine Zigarette an, während Juval das Armaturenbrett betrachtete, auf den Knopf des Handschuhfachs drückte, hineinschaute und enttäuscht sagte: »Es ist nichts drin.«
Michael lächelte. Schon immer war der Junge verrückt gewesen nach Autos. Schon als er klein war, hatte er voller Hingabe Autobilder aus den Zeitschriften ausgeschnitten, die er im Haus seiner Großeltern fand. Kein Wunder, Michaels ehemaliger Schwiegervater las deutsche und englische Zeitschriften. Immer fand man bei ihm die letzten Ausgaben der Times und der Newsweek, neben Burda und anderen Modezeitschriften, die auf den bunten Strohsesseln neben dem Flügel lagen. Juval hatte sich immer an den Morgenrock seiner Großmutter geklammert und gefragt: »Darf ich das schon ausschneiden? Hast du das schon gelesen?«
Juval drückte auf den Knopf des Radios, plötzlich waren die Klänge einer Klaviersonate zu hören. »Was für ein Sound!« rief er und drückte auf einen anderen Knopf. »Eine Verschwendung für so eine Musik.« Doch da warf Michael schon seine Zigarette hinaus, durch das Fenster, und beugte sich zu dem Gerät.
»Sie haben den Recorder nicht kontrolliert«, sagte er zu Juval, der ihn verständnislos anstarrte. Die Kassette gab keinen Ton von sich, außer dem leisen Surren des Bandes, das sich bewegte, war nichts zu hören. Michael drückte auf einen Knopf, und das Band raste vorwärts, dann rückwärts. Nichts war zu hören.
»Warte hier einen Moment, aber faß ja nichts an«, sagte er zu Juval, eilte zu seinem Auto und sprach etwas in sein Funkgerät. Dann ließ er sich wieder in den Alfetta sinken.
Juval sagte kein Wort, aber die Freude, die vorher auf seinem Gesicht zu sehen gewesen war, verschwand. Jetzt sah er ernst und besorgt aus.
»Wem gehört das Auto?« fragte er seinen Vater, doch Eli Bachar stand schon neben dem Wagen, zog einen dünnen Handschuh aus der Tasche
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