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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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eigenen Wertes. Es gab Momente voller Angst, der Angst, er existiere überhaupt nicht. Das Rätsel bei ihm ist die Schaffenskraft. Ich verstehe nicht, wie er vor dem Hintergrund des großen Nichts, der Negierung, große Werke schaffen konnte.«
    Dann fragte Michael, ob Klein jemals Tiroschs Testament gesehen habe.
    »Nein«, sagte Klein, »aber Ja'el hat mir auf dem Weg davon erzählt.«
    »Und was halten Sie davon?«
    »Nun ja, ich war erstaunt, natürlich, aber nicht lange. Mein zweiter Gedanke war, daß überhaupt nichts Überraschendes daran ist. Es fällt mir schwer zu glauben, Scha'ul habe irgendwelche Schuldgefühle Ja'el gegenüber gehabt, aber großartige Gesten kamen bei ihm vor, ein Ausbruch von Großzügigkeit, die manchmal peinlich war. Als unsere älteste Tochter geboren wurde, kaufte er für uns die Einrichtung des Kinderzimmers. Oder der Gedichtband von Natana'el Jaron, den er auf eigene Kosten drucken ließ, ich habe nie verstanden, warum.«
    Dann blickte er Michael an, als merke er nun, worauf dieser hinauswollte, und sagte vorsichtig: »Ich würde nichts anderes daraus schließen, wenn Sie mich fragen.«
    »Ich frage Sie.«
    Klein bewegte den Kopf wie zur Bestätigung. »Ihr wäre nie im Leben etwas eingefallen, was einem Mord auch nur andeutungsweise geglichen hätte. Wenn Sie einige Stunden an ihrem Leben teilgenommen hätten, ihrem Alltagsleben, dann wüßten Sie das selbst.«
    »Nicht einmal, wenn er ihre Gedichte heruntergemacht hat? Wenn er sie gedemütigt hat? «
    »Nein. Sie könnte sich nur selbst physisch etwas zuleide tun, wie sie es schon einige Male versucht hat.«
    »Professor Klein«, sagte Michael langsam, »haben Sie immer so enge Beziehungen zu Ihren Studentinnen?«
    Klein kam nicht durcheinander, sein Gesicht wurde nicht blaß, er lächelte gutmütig und warf dem Polizisten einen väterlichen Blick zu, fast mitleidig. »Hm, auch da würde ich keine übereilten Schlußfolgerungen ziehen. Ich bin überzeugt, daß wir für die wenigen Male, die wir das Leben anderer berühren, dankbar sein müssen. Was gibt es für den Menschen sonst noch auf der Welt als Beziehungen zu anderen Menschen? Ich meine wirkliche Beziehungen, Zuneigung und Verständnis und Freundschaft, die einem Trost geben.« Wieder fuhr er sich über die Stirn. »Ich will gar nicht versuchen, Sie davon zu überzeugen, wie ›rein‹ meine Beziehungen zu Ja'el sind. Sie ist in vieler Hinsicht ein wichtiger Mensch in meinem Leben, und ich möchte unsere Beziehung hier nicht diskutieren. Schließlich ist ja auch nicht die Rede davon, daß ich ihretwegen jemanden getötet haben könnte. Selbstverständlich könnte man sagen, daß ich, was Ja'el betrifft, nicht objektiv bin, aber auch Sie sind nicht objektiv, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben.«
    »Gibt es Ihrer Meinung nach jemanden, der ihr zuliebe einen Mord begangen haben könnte?«
    Klein verzog das Gesicht und sagte etwas über ihre Einsamkeit, ihre Introvertiertheit. »Und überhaupt«, fuhr er ungeduldig fort, »habe ich keine Ahnung, nicht den Schatten einer Ahnung, wer Scha'ul getötet haben könnte. Und erst recht nicht, wer Ido umgebracht hat. Nicht im geringsten.«
    Warum hast du keine Ahnung? überlegte Michael. Hast du vielleicht Angst davor, dir etwas vorzustellen? Er lenkte das Gespräch nun auf den Fall Ido Duda'i. Klein wußte über Tiroschs abgebrochenes Medizinstudium Bescheid, maß ihm aber keinerlei Bedeutung bei.
    »Und was Ihre Befragung mit dem Detektor betrifft«, sagte Michael beiläufig, »Sie wissen wohl, daß nicht mit Sicherheit bewiesen ist, daß Sie die Wahrheit sagen?«
    Klein nickte. »Man hat mir gesagt, meine Reaktionen seien nicht signifikant gewesen.« Michael schaute ihn an, entdeckte aber weder Angst noch Spannung in seinem Gesicht. »Ich weiß nicht, wie sich das erklären läßt«, sagte Klein verlegen, »aber ich bin selbstverständlich bereit, mich noch einmal befragen zu lassen, natürlich.«
    Michael beobachtete das große Gesicht, die Körpersprache, und stellte nichts Auffälliges fest. Er entschied, daß die Sache bis morgen warten könne. Wir verschieben das Detektorverhör, dachte er.
    Als Michael nach der Telefonnummer des Rechtsanwaltes fragte, den Duda'i in den Staaten getroffen hatte, nahm Kleins Gesicht einen verwirrten Ausdruck an. »Oh, das habe ich vergessen«, sagte er verlegen, »ganz und gar vergessen. Ist es wirklich so dringend?«
    »Sie haben selbst gesagt, daß er völlig unter Schock stand, als er

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