Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
bestimmte Stimme gemeint, Sie kennen sie, Sie haben sie schon einmal gehört.«
Tuwja Schaj antwortete nicht.
»Tatsache ist«, sagte Michael Ochajon, »daß wir auf der Kassette Ihre Fingerabdrücke gefunden haben.«
Die hellen Augenbrauen hoben sich höflich, doch kein Wort kam.
»Ich verstehe das so: Sie leugnen nicht, die Kassette angefaßt zu haben«, sagte Michael.
»Sie verstehen es nicht richtig«, antwortete Tuwja Schaj. »Woher soll ich wissen, ob ich diese Kassette angefaßt habe oder nicht? Und was zählt schon meine Aussage gegen Fingerabdrücke?«
»Ihre Frau hat gesagt, daß sie die Kassette am Donnerstag morgen in Ihrer Tasche gesehen hat«, erklärte Michael, als habe er den Vorwurf nicht gehört.
Tuwja Schaj zuckte mit den Schultern.
»Ganz zu schweigen davon, daß Sie mir ausdrücklich erklärt haben, Sie hätten Ido Duda'i zum letzten Mal beim Fakultätsseminar gesehen.«
Tuwja Schaj nickte.
»Aber Sie haben mir kein Wort davon erzählt, daß Sie nach dem Seminar mit ihm zusammen waren, bei Ihnen zu Hause. Er hat Ihnen erklärt, warum er sich beim Seminar so seltsam verhalten hatte.«
Tuwja Schaj schwieg
»Das ist eine sehr vornehme Entscheidung, zu schweigen. Dadurch vermeidet man die Scham, bei einer Lüge ertappt zu werden. Doch ich fürchte, daß Ihnen diese Entscheidung leider nicht offensteht, Dr. Schaj. Ihr Alibi ist äußerst schwach.«
Tuwja Schaj öffnete plötzlich den Mund und sagte hitzig: »Wenn ich ihn ermordet hätte, hätte ich für ein besseres Alibi gesorgt. Es tut mir leid, nicht gewußt zu haben, daß ich auf Leute hätte achten und auch dafür sorgen müssen, daß sie auf mich achten.«
Michael reagierte nicht auf seinen Sarkasmus. Er steckte sich eine Zigarette an und betrachtete das Gesicht, das ihm immer vertrauter wurde.
»Worüber haben Sie mit Ido Duda'i gesprochen, nach dem Seminar?«
»Über private Angelegenheiten«, antwortete Tuwja Schaj und preßte die Lippen zusammen wie ein dickköpfiges Kind, was ihm ein groteskes Aussehen verlieh. Für einen Moment konnte Michael in ihm das Kind sehen, das er einmal gewesen war, ein altes, abstoßendes Kind.
»Zu meinem Bedauern müssen Sie schon etwas mehr ins Detail gehen«, sagte er und hörte, daß auch seine Stimme nun einen sarkastischen Ton annahm.
»Warum? Das sind Dinge, die nichts mit dem Mord zu tun haben«, widersprach Tuwja Schaj. Seine Stimme kippte vor Wut, als er fortfuhr: »Und bitte sagen Sie jetzt nicht, daß es Ihre Sache sei, das Maß der Relevanz für den Mord zu beurteilen.«
Michael nickte und blickte in die kleinen Augen, deren Farbe so unbestimmt war.
»Er hat mich um Rat gefragt, wegen des Fortgangs seiner Studien«, sagte Tuwja Schaj schließlich. Die Worte kamen nur widerwillig aus seinem Mund.
Michaels Versuche, eine Erläuterung dieses Satzes zu bekommen, blieben erfolglos, seine Worte prallten gegen eine Wand des Schweigens. Tuwja Schaj verweigerte eine Erklärung. Er sagte nur: »Ido hat gesagt, er befände sich in einer beruflichen Krise, aber er hat mir nicht mitgeteilt, warum.«
Michael kehrte zu der alten, heiseren Stimme mit dem russischen Akzent zurück, aber Tuwja Schaj sagte nichts anderes aus. Nie zuvor habe er diese Stimme gehört. Er erinnere sich nicht, die Kassette berührt zu haben. Er wisse nicht, ob sie Ido gehört habe.
Nein, Ido habe nicht mit ihm über Tirosch gesprochen. Kein Wort. Nicht über Tirosch und nicht über dessen Gedichte.
Michael kam auf die Frage des Alibis zurück.
»Ich habe Ihnen schon hundertmal erzählt, was ich getan habe. Ich verstehe es nicht, auch Schulamit Zelermaier hat keine Zeugen, auch Ruth Duda'i nicht, und es gibt noch andere. Man kümmert sich einfach nicht jede Minute darum, wieviel Uhr es ist, auch nicht darum, wer einen sieht. Man sucht keine Zeugen für den ganzen Tag.«
»Woher wissen Sie das mit Dr. Zelermaier?« fragte Michael, und zum ersten Mal entdeckte er im Gesicht seines Gegenübers eine gewisse Verlegenheit. Tuwja Schaj zuckte mit den Schultern, eine Bewegung, die Michael nun schon gut kannte.
»Ich habe ihren Namen nur so gesagt. Ich habe nur zufällig im Sekretariat ein Gespräch über die Alibifrage mitbekommen, und Schulamit sagte, ihr Vater habe geschlafen. Wer könne bestätigen, daß sie zu Hause war? Sie hat gelacht, aber Dita Fuchs hat nicht gelacht, und ich habe gesehen, wie Kalizki erschrak, der Arme, und Aharonowitsch, der sich zu erinnern versuchte, wann er mit dem Einkaufen fertig gewesen
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