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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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fort und achtete darauf, seiner Stimme einen freundschaftlichen, undramatischen Ton zu geben, »daß es Menschen gibt, die abstrakte Dinge wie Philosophie verinnerlichen, daß sie sie so stark verinnerlichen, daß ihr Leben dann davon bestimmt wird.«
    Tuwja Schaj schwieg, doch Michael wußte, daß er jedes Wort hörte.
    »Sie wissen das«, stellte Michael fest, »aber ich konnte mich damals nicht entscheiden, ob sie einfach verrückt geworden war ... «
    »Sie war nicht verrückt geworden«, sagte Tuwja Schaj mit einer Entschiedenheit, die er noch nicht einmal bei dem Fakultätsseminar gezeigt hatte, das Michael vom Film kannte.
    »Ich frage mich auch«, sagte Michael und fühlte, wie sein Mund trocken wurde, »ob Sie verrückt geworden sind.«
    Die blassen Wangen seines Gegenübers röteten sich, die Lippen begannen zu zittern.
    »Verstehen Sie«, sagte Michael Ochajon und beugte sich vor, »wenn ich an das Gefühl denke, das jemand gehabt haben muß, der sein Leben, seine Frau, seine ganze Existenz einem einzigen Menschen geweiht hat und plötzlich mit leeren Händen dasteht – glaube ich, daß er nur noch verrückt werden kann, die Kontrolle über seine Handlungen verlieren.«
    »Blödsinn«, sagte Tuwja Schaj wütend. »Jetzt reden Sie Blödsinn.«
    »Sie verstehen«, fuhr Michael fort, als habe er den Einwurf nicht gehört, »nachdem ich mit Boris Singer gesprochen hatte, verstand ich, daß man von so etwas verrückt werden kann. Nicht alle, aber es gibt Menschen, die das können, wenn sie ihre Prinzipien ernst nehmen.«
    »Ich verstehe nicht, wovon Sie sprechen.« Tuwja Schajs Stimme zitterte.
    »Haben Sie daran gedacht, wie Boris sich fühlt? Er hat alles für Anatoli getan, er hat ihm sein Leben geweiht, und Sie haben selbst gehört, was er zu sagen hatte. Niemand auf der Welt weiß besser als Sie, wie Boris sich gefühlt hat, auch wenn er, im Unterschied zu Ihnen, nicht von dem Menschen betrogen wurde, den er geliebt hat, sondern von jemand anderem, und ich bin sicher, daß Sie genügend Moral besitzen, um mir zuzustimmen, wenn ich sage, daß man wenigstens dieses Unrecht wiedergutmachen muß.«
    Tuwja Schaj hob den Kopf. In seiner Stimme lag Wut, als er sagte: »Lassen wir doch die Moral jenen, die nichts anderes haben, mit dem sie sich schmücken können.«
    Michael blickte Tuwja Schaj direkt an. »Ihr Alibi wakkelt. Und der Detektor – Sie wissen, daß es schwer ist, den Detektor erfolgreich zu betrügen, er arbeitet simultan mit fünf Parametern. Ein Mensch kann nicht alles beherrschen. Wenn es ihm gelingt, die Schweißabsonderung und den Herzschlag in den Griff zu bekommen, steigt sein Blutdruck. Das haben Sie nicht gewußt. Alle Verhöre mit dem Detektor haben gezeigt, daß Sie lügen. Doch ich habe Sie noch nicht festnehmen lassen, weil mir der ganze Zusammenhang gefehlt hat. Sie haben Scha'ul Tirosch ermordet, weil er Sie als Dummkopf dastehen ließ, weil er die Tatsache aufdeckte, daß Sie Ihr Leben einer Sache gewidmet haben, die nichts anderes war als eine Lüge.«
    Michael betrachtete das veränderte Gesicht des Mannes ihm gegenüber. Der tote Ausdruck des blassen Mannes war verschwunden, Tuwja Schajs Gesicht zeigte eine Stärke, die er noch nie an ihm bemerkt hatte. Wütend sagte er: »Wer sind Sie überhaupt? Sie verstehen doch gar nichts. Sie wissen nicht, worüber Sie sprechen. Mein Leben ist nicht so wichtig, auch Ihres nicht. Auch Tiroschs Leben war nicht so wichtig, wenn ich in ihm auch den großen Priester der Kunst gesehen habe. Aber man kann unmöglich von Ihnen erwarten, daß Sie solche Dinge verstehen. Wer zu den Leuten gehört, die Strafzettel verteilen und Demonstrationen auflösen, kann solche Dinge nicht verstehen.«
    Nicht zum ersten Mal an diesem Morgen dachte Michael an Dostojewski, an Porfirij und Raskolnikow. Bin ich so ähnlich wie Porfirij? fragte er sich, als Tuwja Schaj sprach, schließlich ist alles, was mich im Moment treibt, der Beweis für das Gericht. Und die Neugier. Aber man kann unmöglich sagen, daß ich keine Sympathie für ihn empfinde, dachte er, als er das Gesicht ihm gegenüber betrachtete, er hat etwas, was mir Achtung abnötigt. Ich darf das nicht alles so extrem sehen, sagte er sich warnend. Ich muß ihn zum Reden bringen. Ihm das Gefühl geben, daß ich ihn wirklich nicht verstehe, daß es sich aber lohnen würde, wenn ich ihn verstehe, denn ich weiß ohnehin schon alles. Er scheint mir nicht so erfahren zu sein in diesen Dingen, es wird ihm

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