Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
dazu brauche ich auch noch das Einverständnis der Familie, das heißt, die von Mojsch. Und ich weiß nicht genau, wie ich ihm das mitteilen soll, er ist ohnehin schon in einem miserablen Zustand.«
»Mit anderen Worten«, sagte Schorer erstaunt, »du willst also eine Leiche ausgraben, weil irgendein Spinner gesagt hat, er habe etwas gefühlt?«
»Was habe ich zu verlieren, was denn?« sagte Michael verzweifelt. »Ich stecke fest. Ich habe keinen Anhaltspunkt, kein Motiv. Dave hat Osnat, wie er mir sagte, zwar eine Zeitlang ziemlich nahegestanden, aber das, was er erzählt hat, warf kein neues Licht auf sie. Ich habe kein Motiv, ich habe nichts, darum bin ich bereit, Srulkes Leiche ausgraben zu lassen. Toten tut das nicht weh, sie fühlen nichts mehr. Wem schadet das also? Was kann denn schlimmstenfalls passieren? Daß man nichts findet, oder?«
»Aber du darfst diese Begründung keinesfalls anführen«, sagte Schorer, »daß irgendein Amerikaner eine Nachricht aus Indien oder sonstwo erhalten hat.«
»Die Begründung ist eine technische Frage. Ich werde die Erlaubnis aufgrund des Vorfalls mit Osnat bekommen, und weil Srulke häufig mit Parathion umging. Das Problem ist, daß es sich tatsächlich um einen Arbeitsunfall gehandelt haben kann.« Michael wischte sich mit der Hand den Schweiß vom Gesicht, wobei er sich Awigails Blick bewußt war.
»Doch wo war dann die Flasche, wie sie mit Recht gefragt hat? Warum lag sie nicht daneben?« fragte Schorer. »Was kannst du darauf antworten?«
»Daß jemand dort vorbeiging und Srulke tot da liegen sah«, sagte Michael schnell. »Derjenige kann die Flasche mitgenommen und dann verwendet haben. Das könnte doch so gewesen sein, nicht wahr?«
Schorer schwieg. »Was hat Nahari zu dem Vorschlag gesagt, die Leiche zu exhumieren?« fragte er dann und nahm den letzten Schluck Bier aus seinem Glas.
»Das, was er gerne sagt, wenn ihn jemand bedrängt«, antwortete Michael.
»Und das wäre?«
»Sein Satz für solche Situationen lautet: Man muß darüber nachdenken«, sagte Michael bitter.
»Bis wann will er darüber nachdenken?«
»Ich möchte es morgen schon wissen.«
»Um das dann auch sofort im Kibbuz zu verbreiten?« fragte Schorer.
Michael gab keine Antwort.
»Du weißt nicht genau, was du mit dieser Information anfangen wirst, falls es überhaupt eine solche Information geben wird«, sagte Schorer und schaute Michael mit einem Blick an, in dem sich Ungeduld und Zuneigung vermischten.
»Nein«, gab Michael zu, »nicht genau.« Er streckte den Rücken, straffte die Schultern, betrachtete den niedrigen Hocker, auf dem Schorer saß, und sagte erstaunt: »Ich habe die Erfahrung gemacht, genau wie du, daß manchmal die verrücktesten Ideen am meisten Erfolg bringen. Und die Wahrheit wollen wir ja auf jeden Fall herausfinden, nicht wahr?« Nach kurzem Nachdenken fügte er hinzu: »Meiner Meinung ist es die Wahrheit wert, daß sich einige Leute mal schlecht fühlen.«
Schorer bezahlte die Rechnung, und als sie im Auto saßen, sagte er: »Setz mich bitte als ersten ab. In meinem Alter müßte ich jetzt schon längst im Bett liegen.«
Vierzehntes Kapitel
Awigail schaute sich im Spiegel an, fuhr sich mit der Hand über den weißen Kittel und seufzte. Als sie die Arbeit bei der Polizei angetreten hatte, wäre es ihr nicht im Traum eingefallen, daß sie jemals wieder den weißen Schwesternkittel tragen würde. Nun stand sie in dieser blitzend sauberen ambulanten Station in einem einstöckigen, weißen Ge bäude zwischen Eukalyptusbäumen, davor ein breiter Rasen, durch den ein schmaler, gewundener Teerweg zum Eingang führte.
Die beiden Räume und die Küche glänzten. Sie wußte nicht, wann und von wem die Ambulanz saubergemacht worden war, und als sie die Edelstahlspüle betrachtete, in der sich ihr Gesicht spiegelte, erinnerte sie sich daran, daß damals, als sie ihren Dienst in einem Kibbuz gemacht hatte, die jungen Leute vom Nachal für die Sauberkeit der öffent lichen Gebäude verantwortlich gewesen waren.
Awigail öffnete den Medikamentenschrank. Er war durchsucht worden, schon dreimal war die Ambulanz durchsucht worden, das wußte sie, doch jetzt war davon nichts mehr zu merken. Sie holte aus dem Versteck, das Jojo ihr gezeigt hatte, den Schlüssel zum Medikamentenschrank und durchsuchte die Sachen, die dort standen. Jankeles Tabletten waren in einer gesonderten Tüte neben den Beruhigungsmitteln, den Schlaftabletten und den anderen Medikamenten, die sie auf
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