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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Beendigung der Baumwollernte am letzten Schabbat, »ein Ereignis, das mit der traditionellen Zeremonie gefeiert wurde, bei der alle Pflückmaschinen, geschmückt mit Nationalflaggen und zusätzlich mit roten Fahnen der Arbeiterklasse, mit angeschalteten Lichtern gleichzeitig die letzten Reihen abernteten ...« Michael lächelte nicht, als er die Beschreibungen der Zwischenfälle bei der Baumwoll ernte des letzten Jahres las. Der krampfhafte Humor – Mikis Hand sei mal wieder nicht an der richtigen Stelle gewesen, deshalb geriet sie in die Maschine – ging ihm sogar auf die Nerven. Mit dem gleichen Humor, kombiniert mit Selbstgerechtigkeit, beschrieb der Autor die dramatische Nacht, in der die alte Pflückmaschine repariert worden war. Michael drückte seine Zigarette in dem gesprungenen Tonblumentopf aus, der ihm als Aschenbecher diente.
    Nachdem er Awigails Zimmer verlassen hatte, ver brachte er die Nachtstunden mit Lesen. Er las die »Jahreszeiten« gründlich, sogar die kleinen Mitteilungen, die Danksagungen und Geburtstagsgrüße. Als allmählich das blasse Morgenlicht durch die Ritzen des zerbrochenen Rollladens drang, klopfte er mit den Fingerknöcheln im Takt zu Naharis Stimme in seinem Kopf. Seine krampfhaften Versuche, nicht einzuschlafen, brachten ihn dazu, die Zähne zusammenzubeißen, bis er den vertrauten Schmerz in den Kiefern spürte und sein Hals rauh und trocken war. Plötzlich meinte er Juwal enttäuscht und vorwurfsvoll sagen zu hören: Wie konntest du nur ... wie ... wie ... wie ... Dann sah er auch den traurigen Ausdruck in den Augen seines Sohnes, als er sich wieder der Frage zuwandte, was er tun würde, wenn eines der Kibbuzmitglieder Selbstmord begehen würde. Er dachte an Jankeles gehetzten Gesichtsausdruck, an Fanjas Schluchzen nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus in Aschkelon, wo sie lange vor dem Zimmer gestanden hatte, in dem ihr – meist ruhiger – Sohn verhört worden war. Er dachte auch an Gutas Wutausbruch, an Meros' gelbgraue Gesichtsfarbe, an die dunklen Ringe un ter Jojos Augen. Und immer verfolgten ihn Dworkas Augen, beschuldigend und mißtrauisch. Plötzlich kam ihm auch Osnats Sohn, der Soldat, in den Sinn, und er fragte sich, wie er die hysterischen Ausbrüche, den Schmerz und die Sorgen der Kibbuzmitglieder aushalten würde.
    Die Luft war kühl und frisch, doch auch als er an der offen Tür stand und tief durchatmete, gelang es ihm nicht, seinen plötzlichen Anfall von Panik zu dämpfen.
    »Warum haben Sie so auf den Busch geschlagen?« hatte Nahari ihn angefahren, und diese Frage quälte ihn jetzt wieder, als er das Bulletin von Ende Februar betrachtete.
    »Damit der Hase herauskommt«, beendete Michael das banale Bild, ohne über die Bedeutung der Wörter nachzudenken.
    »Und warum glauben Sie, daß er herauskommt?« hatte Nahari gefragt.
    Michael, den Sarkasmus in Naharis Stimme ignorierend, hatte ernsthaft erklärt: »Vielleicht kommt er heraus, um sich zu schützen. Vielleicht hat er ja Angst vor dem, was ein anderer weiß.«
    »In diesem Fall«, hatte Nahari gewarnt, »sollten Sie gut über die möglichen Auswirkungen nachdenken. Ich weiß nicht, ob Sie zum Beispiel daran gedacht haben, einen Schutz für die Leute zu organisieren, die Osnat nahestanden. Denn der Hase, der aus den Büschen kommt, wird eher einem Tiger ähnlich sein.«
    Michael hatte nichts darauf geantwortet.
    »Ich meine damit, daß Sie ein scharfes Auge auf Dworka und Mojsch und die anderen haben sollten.«
    Diese Sätze waren bei der Sitzung gefallen, in der auch der Zeitplan diskutiert worden war. Ganz anders als das Gemurre Arie Levis, des Distriktkommandanten von Jerusalem, konnte man Naharis Schimpfen nicht einfach als Störung abtun, mit der man zu leben hatte. »Es spielt für mich keine Rolle, was die Leute sagen«, hatte Nahari ruhig erklärt. »Im Prinzip ist es egal, ob es ein paar Tage mehr dauert, bis wir die Sache so weit haben, daß sie vor Gericht standhält, aber in dieser Situation, mit ihrer besonderen Dynamik und den damit verbundenen besonderen Risiken, ist die Zeit schon wichtig. Sie können nicht über einen längeren Zeitraum Polizisten im Kibbuz lassen, denn dann wird sich die ganze nationale Kibbuzbewegung auf die Hinterfüße stellen, und es wird Anfragen in der Knesset geben. Das nur nebenbei. Weit mehr beunruhigt mich die Tatsache, daß, wenn Ihr Hasen-Tiger nicht innerhalb einer oder sagen wir zwei Wochen herausspringt, Sie einen ganzen Kibbuz in Anspannung

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