Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
schwarzen Marker auf den Artikel »Neues vom Schreibtisch des Sekretärs«.
Mojsch nahm das Blatt, hob es dichter an seine Augen und begann zu lesen. Michael fiel auf, daß er dabei die Lippen bewegte. Dann legte er die Broschüre zur Seite und fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Nun, ich habe es gelesen, aber ich kann nichts Besonderes entdecken, nichts Außergewöhnliches«, sagte er ungeduldig und gereizt. »Worauf wollen Sie hinaus?«
Michael legte die Hand auf den Artikel und sagte: »Doch, es gibt etwas Außergewöhnliches, in Klammern.«
Mojsch las die Stelle noch einmal, erst leise, dann laut, wobei er jedes Wort einzeln betonte, als lese er Posten einer Einkaufsliste vor, schloß dann die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Wie verstehen Sie das, was da steht?« fragte Michael.
»Was weiß ich, ich habe keine Ahnung. Ich bin nicht bei diesem Seminar gewesen.«
»War noch jemand dort, außer Osnat?«
»Keine Ahnung«, antwortete Mojsch mit heiserer Stimme. »Wie lange ist das eigentlich her? Das war Ende Februar, vor ungefähr einem halben Jahr also. Wie soll ich mich daran erinnern?«
»Von wem könnte ich es sonst erfahren?«
»Tun Sie mir einen Gefallen«, sagte Mojsch und schob einige Papiere zur Seite. »Es gibt jede Woche so ein Bulletin, keiner liest es so gründlich. Ich erinnere mich nicht, ich habe nichts gehört. Ich erinnere mich jedenfalls nicht, et was gehört zu haben. Und überhaupt – sagen Sie mir doch, was Sie meinen, damit ich wenigstens eine Richtung habe.« Er wurde zunehmend nervöser, und schließlich brach es aus ihm heraus: »Diese Fragerei die ganze Zeit, zum Verrücktwerden! Wann hört das endlich auf?« Und dann: »Entschuldigen Sie, ich bin etwas angespannt, ich habe nicht gut geschlafen. Es ist nicht gerade leicht, was hier passiert. Und die Sache mit meinem Vater hat meiner Gesundheit auch nicht besonders gut getan.«
»Obwohl wir gesagt haben, daß es sich bei ihm vermutlich um einen Unfall handelt?«
»Na ja, Unfall, aber wo ist der Rest vom Parathion? Bei wem? Was wird damit passieren?«
Michael schwieg.
»Wann werden Sie eine Antwort auf das alles haben?« fragte Mojsch. In seiner Stimme lag Zorn, aber noch mehr Verzweiflung.
»Ich würde gerne wissen«, sagte Michael langsam, gedehnt, »ob Osnat diesen Satz in Klammern von sich aus geschrieben hat oder ob sie etwas zitierte, was bei diesem Seminar gesagt worden war.«
Wieder machte Mojsch ein Gesicht, als wolle er sagen: »Keine Ahnung«, und Michael, in plötzlicher Eile, fragte: »Wo bekomme ich das Protokoll von diesem Seminar?«
»Ich weiß nicht, ob es ein Protokoll gibt, ich kann es mir nicht vorstellen. Das ist ein Seminar, das einmal im Jahr stattfindet, und es gibt dort Dutzende von Leuten, Sekretäre aus allen möglichen Kibbuzim.«
»Gut, also wer war noch dort?«
»Natürlich Leute von den anderen Kibbuzim, hier aus der Gegend, aus dem Norden, ich weiß es nicht.«
»Hat sie nicht mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Mit mir nicht, aber vielleicht mit jemand anderem, vielleicht mit Dworka, vielleicht mit... keine Ahnung.«
»Vielleicht mit wem?«
»Weiß ich nicht, wirklich, fragen Sie doch mal Dworka«, schlug Mojsch vor.
Michael ließ nicht locker. »Gut, ich versuche mein Glück bei Dworka, aber vielleicht können Sie mir außerdem einen Kontakt mit einem Sekretär aus einem benachbarten Kib buz herstellen, einem, der auch dort war?«
»Bestimmt wird sich niemand mehr daran erinnern«, sagte Mojsch seufzend, mit einer abfälligen Handbewe gung. Dann nahm er den Telefonhörer und drückte eine gespeicherte Nummer. »Wer ist das, Mischa?« Und dann: »Nein, hier ist Mojsch Ajal.« Er hörte eine Weile schweigend zu, dann sagte er: »Nein, es ist nicht leicht, wenn sie einem die ganze Zeit hier vor den Füßen herumlaufen.« Seine Stimme senkte sich, als er Michael anblickte. »Sag mal, Mischa, erinnerst du dich an das Seminar für Sekre täre, das es dieses Jahr gab? ... Nein, das ist jetzt nicht wichtig, ich muß etwas herausbekommen, erinnerst du dich? ... Du warst dort? ... War von uns nur Osnat dort oder noch jemand anders? Nur Osnat?« Er schaute Michael an, der sich eine Zigarette anzündete, die Beine ausstreckte und Mojschs Blick stur erwiderte. »Hier ist jemand, der ein paar Fragen darüber stellen will, was dort los war«, sagte Mojsch zögernd in den Hörer. »Nein, nicht am Telefon. Kannst du auf einen Sprung rüberkommen?
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