Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
falls dich noch mal jemand sucht.«
»Ich habe noch ein paar Anrufe zu erledigen«, sagte Michael und winkte ihr zu. Ihre letzte Bemerkung hörte er schon nicht mehr. Als er die Tür zu seinem Büro geöffnet hatte, betrachtete er den Stapel Papiere auf seinem Schreibtisch und legte die Mappe obendrauf. Dann schaute er aus dem Fenster auf den baumlosen Hinterhof und sehnte sich plötzlich nach dem staubigen Efeu, den er gesehen hatte, wenn er aus dem Fenster seines früheren Jerusalemer Büros geschaut hatte. Und er dachte daran, daß er sich immer weniger Mühe gab, seine Beziehung mit den Sekretärinnen und Telefonistinnen zu kultivieren. Was ihm früher einmal so leicht gefallen war, ein Teil seiner täglichen Arbeit, er schien ihm jetzt mechanisch und leblos. Gila fiel ihm ein, die Sekretärin Arie Levis, und er schaute auf die Uhr. In Gedanken sah er ihre Finger mit den langen Nägeln vor sich, wie sie über die Tastatur des Computers glitten, den man vor gar nicht langer Zeit gegen die elektrischen Schreibmaschinen eingetauscht hatte. Er sehnte sich auch nach ihr.
Es ist ein Gefühl von Vergänglichkeit, sagte er sich, das ich entwickelt habe, um mich gar nicht erst an die Dinge hier zu binden. Und dann fragte er sich, was er eigentlich gegen diesen Ort hier hatte. Die Antwort, die er nicht recht in Worte fassen konnte, hatte etwas mit seinem gekränkten Selbstbewußtsein zu tun. Nicht nur seine Fähigkeiten wurden hier in Frage gestellt, man enthielt ihm auch das Vertrauen vor, das Arie Levi ihm gewährt hatte.
Er setzte sich auf den Polsterstuhl hinter seinem Schreibtisch in diesem Zimmer, das zwei-, dreimal so groß war wie sein früheres Büro, und blätterte in den Unterlagen. Nachdem er zweimal das Protokoll von Jojos Verhör gelesen hatte, wählte er die Nummer der Zentrale. Die Telefonistin hörte sich seine Bitte an und sagte: »Ja, sofort.« In den zehn Minuten, die es dauerte, bis das Telefon klingelte, rauchte Michael zwei Zigaretten und wischte mit den Fingern den Staub vom Schreibtisch. Er versuchte, den Stapel Papiere durchzusehen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Die Wörter wollten sich nicht zu Sätzen verbinden. Erst als er die Stimme Aharon Meros' am anderen Ende der Leitung hörte, merkte er, wie angespannt er war.
Meros' Stimme klang weit entfernt, als er sagte, er fühle sich besser. Michael hörte den bedrückten, reservierten Ton in seiner Stimme, als er weitersprach: »Aber ich muß noch eine weitere Woche hierbleiben ...«
Auf Michaels Frage antwortete er zögernd. »Ich spreche aus dem Schwesternzimmer.« Im Hintergrund war Gemurmel zu hören, Rufe. Schließlich sagte Meros: »Wenn Sie nicht herkommen können ...«
»Bitten Sie doch darum, daß das Gespräch ins Arztzimmer verlegt wird«, drängte Michael. Das Gemurmel wurde dumpfer, als Meros die Hand auf den Hörer legte.
»Sie verlegen gleich das Gespräch«, sagte Meros schließlich.
Es dauerte drei Minuten. Michael zählte sie, indem er ab und zu auf seine Uhr blickte. Während er wartete, notierte er hastig seine Fragen auf einen Briefumschlag.
»Wie sind Sie darauf gekommen?« fragte Aharon Meros aus dem Arztzimmer.
Michael ignorierte die schnellen Atemzüge des anderen und zügelte seinen Zorn. »Warum haben Sie es mir nicht gesagt, bei unseren vielen Gesprächen?«
»Ich habe ihr geschworen, bis zu einem bestimmten Termin in zwei Wochen nichts zu sagen. Es ist in meinem Banksafe, und ich habe es nicht geöffnet. Ich habe keine Ahnung, was drin ist, ich schwöre es.«
»Was macht es schon, daß Sie es ihr versprochen haben, sie ist tot«, rief Michael.
»Es kann doch sein«, sagte Aharon Meros, »daß wir jemandem etwas schwören und diesen Schwur, wenn derjenige stirbt, als noch bindender empfinden. Sie hat gesagt, es hätte mit niemand anderem zu tun. Eine ganz private Angelegenheit.«
»Es ist jetzt nicht mehr wichtig«, sagte Michael. »Ich hoffe nur, daß es das ist, was wir suchen. Ich werde kommen und mit Ihnen reden, doch zuvor schicke ich jemanden. Bitte geben Sie ihm eine Vollmacht, daß er es aus dem Safe holen darf.«
Bevor er den Hörer hinlegte, sagte Michael noch: »Machen Sie sich keine Sorgen, er kommt mit einem Rechtsanwalt.«
Die Last auf seinen Schultern wurde immer drückender, als er sein Büro verließ und fast rennend zu Benis Zimmer lief. Als er Beni seine Anweisungen diktierte, der sie in einer schräg gestellten, runden, erstaunlich feminin wirkenden Schrift notierte, fühlte
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