Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
zu finden, was jeder einzelnen steht und das betont, was hübsch an ihr ist.« Und als sie sah, wie Osnat die Lippen verzog, fügte sie mit derselben verhaltenen Gutmütigkeit hinzu, die typisch war für ihr ganzes Verhältnis zur Welt: »Was spielt das schon für eine Rolle? In eurem Alter ist man schön, egal, was man trägt.«
Aharon, der damals in einer Ecke saß und in alten Kinderbeilagen von »Al Hamischmar« blätterte, wobei ihm aber kein Wort entging, meinte nun noch die Stimme des Mädchens zu hören, das die Enttäuschung runterschluckte und beherrscht und voller Selbstachtung sagte: »Dworka hat noch mehr gesagt. Sie hat gesagt, daß die innere Schönheit jeder einzelnen von uns nach außen strahlt, auch wenn wir Arbeitskleidung tragen.«
Obwohl Aharon damals nicht genau verstand, was vor sich ging, fühlte er, daß Mirjam etwas an Osnats Absicht mißverstanden hatte. Sie nickte zwar heftig und bestätigte: »Dworka hat recht! Und ob sie recht hat!« Doch die Wut hinter Osnats scheinbar unschuldig gemeinten Worten hatte Mirjam nicht mitbekommen.
Was hätte wohl Mirjam gesagt, fragte sich Aharon jetzt, wenn sie gewußt hätte, daß der Kibbuz am meisten durch die Cremeherstellung verdiente und daß man die ertragreichen Pflaumenbäume in den alten Obstplantagen gerodet hatte, um dort die Kakteen zu züchten, die man für die Cremes brauchte? Und was hält Dworka eigentlich selbst davon? fragte er sich. Fast hätte er offen gelacht, als er an Dworkas Lebenseinstellung dachte, an ihre Predigten über das einfache Leben. Und nun basierte der ganze Wohlstand, den er gestern bei der Zeremonie und dem folgenden Abendessen gesehen hatte, darauf, daß in diesem Kibbuz kosmetische Produkte hergestellt und in die ganze Welt exportiert wurden. Wo war Dworkas innere Schönheit jetzt? Und wie fühlten sich die Frauen der Gründergeneration, deren Gesichter schon faltig waren, als sie so alt waren wie Osnat heute, wenn sie die Frauen der mittleren Generation betrachteten, von denen ein guter Teil frisch und ge pflegt aussah, als hätten sie nicht einen einzigen Tag auf den Feldern gearbeitet?
Am Abend des Festes, als sie im Speisesaal saßen, hatte Mojsch Aharon erzählt, wie schwer es Fanja gefallen sei, den Niedergang der Schneiderei, die sie gegründet hatte, zu akzeptieren. Die Kosmetikherstellung hatte die Schneiderei verdrängt, auch weil Fanja dort keine Neuerungen zuließ. Als man ihr vorgeschlagen hatte, die Schneiderei fabrikmäßig aufzuziehen und Fachleute und Zuschneiderinnen von außerhalb herzubringen, wobei sie aber die Leitung behal ten sollte, hatte sie mit schrecklicher Wut reagiert, einer Wut, die den ganzen Kibbuz lähmte und dazu führte, daß dieser Plan fallengelassen wurde.
Und noch etwas hatte Mojsch erzählt: Je älter Fanja wurde, um so wilder und futuristischer wurden ihre Modelle. Es war schwer, ihre geometrischen Entwürfe zu verwirklichen, und man konnte sich immer weniger vorstellen, daß irgend jemand sie anziehen wollte. »Alle möglichen Verrücktheiten«, hatte Mojsch leise gesagt. »Ich verstehe ja nichts von Frauenkleidern, aber die Leute haben darüber gesprochen, und Chawale hat es mir erzählt.« Schließlich hätten sie, wie er sagte, Schneiderinnen von außerhalb kommen lassen müssen. Und heute würden es die meisten Chawerot vorziehen, ihre Kleider in der Stadt zu kaufen, so daß in der Schneiderei vorwiegend Arbeitskleidung und Klei dung für die Kinder hergestellt wurde. »Und selbst dabei hat sie die seltsamsten Einfälle, und keiner weiß, wie sie darauf kommt.« Mojsch lachte. »Sie hat zum Beispiel weiße Safari-Anzüge für Jungen gezeichnet, die Bar-Mizwa wurden. Wir haben es ihr nur sehr schwer ausreden können. Sie wollte kleine Lords aus ihnen machen.« Er wurde ernst und fuhr leise fort: »Sie hat die Veränderungen nicht ausgehal ten, als wir zur Massenproduktion übergingen. Man konnte ihr nicht helfen, sogar als wir mit der Idee kamen, eine Art exklusive Schneiderei aufzuziehen, hielt sie nicht das mindeste davon. Und frage nicht, was sie angestellt hat, als wir eine Puppenfabrik vorgeschlagen haben. Meiner Meinung nach ist sie nicht normal.«
Osnat berührte Fanjas Hand, dann nahm sie sie in den Arm, und die abgerissenen Worte und Silben wurden zu einem Jammern, so leise, daß man die Vögel hören konnte, dann schüttelte Fanja Osnats Arme ab und rief immer wieder: »Das ist ein Altersheim, ein Altersheim.« Und dann: »Ins Altersheim wollt ihr uns
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