Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
entstanden waren, als Riwas angenehme Stimme klar und deutlich durch das Fenster zu hören gewesen war. »Sei doch nicht so naiv, Alex«, hatte Riwa gesagt. »Was kann man von der Tochter einer Nymphomanin schon erwarten. Ihre Mutter ist eine kranke Frau, verstehst du? Das ist eine Krankheit, ich habe darüber gelesen, wir haben es auch in der Fortbildung gelernt. Du kannst mir glauben, daß so was an die Gene gekoppelt ist, und sie ist schon im gefährlichen Alter. Wenn wir nicht aufpassen, verführt sie bald alle unsere Jungen, und dann fängt sie an, Familien kaputtzumachen ... Tu doch nicht so, als hätten wir so etwas noch nie erlebt.«
    Osnat lief nicht sofort davon. Sie blieb lange stehen, und Aharon hatte Angst, daß ihre schweren Atemzüge in dem hell erleuchteten Zimmer zu hören seien, aus dem der Duft frisch zubereiteten Kaffees und das Klirren der Tassen zu ihnen herausdrangen. Dann setzte sich Osnat, ohne ein Wort zu sagen, neben dem Baum ins Gras. Erst als sie aufstand, ließ sie seinen Arm los, und sie bat ihn auch nicht, sie zu begleiten. Sie sagte nichts, als sie mit langsamen Schritten, die so gar nicht zu ihr paßten, zum Wasserturm am Eingang des Kibbuz lief, und er, der sie so gerne trösten wollte und am liebsten gesagt hätte: »Das ist doch egal, achte gar nicht darauf«, brachte keinen Ton heraus.
    Er folgte ihr schweigend, ohne die zarte, nackte Schulter oder ihre wilden Haare zu berühren. Bis zum Wasserturm sagte sie kein Wort, schien ihn überhaupt nicht zu bemerken. Dort angekommen, hockte sie sich am Fuß des Turms hin, und er setzte sich neben sie. Nach einer Weile, als er das Schweigen schon nicht mehr ertrug, wollte er etwas sagen, aber seine Stimmbänder gehorchten ihm nicht, er brachte kein Wort heraus, und außerdem hatte er Angst, sie könnte anfangen zu weinen, wenn er etwas sagte. Er berührte sanft ihren Arm, und sie, die die ganze Zeit vor sich hin gestarrt hatte, ohne ein Wort zu sagen, schüttelte seine feuchte Hand mit einer heftigen Bewegung ab und schaute ihn an. Dann küßte er sie. Ihre Lippen schmeckten süß, und obwohl er ihren Mund berührte, hatte der Kuß anfangs nichts Verlangendes an sich, nur den Wunsch, sie zu trösten, sich auf geheimnisvolle Weise mit ihr zu verbinden und nichts durch Worte zu zerstören. Sie begriff das auch, das wußte er, doch nach ein paar Sekunden war es, als höre sie Riwas Stimme wieder, und plötzlich war alles zerstört. Sie wich zurück und sagte: »Ich werde es ihnen zeigen! Ich werde als Jungfrau heiraten. Sie werden schon sehen.« Dann stand sie auf. »Komm, gehen wir zurück«, sagte sie mit harter, erstickter Stimme. Unterwegs fügte sie noch hinzu: »Ich habe keine Pläne, den Kibbuz zu verlassen. Ich wüßte auch nicht, wohin ich gehen sollte, und hier geht es mir gut.« Dann, nach ein paar tiefen Atemzügen: »Jedenfalls wird es mir eines Tages gutgehen, und dann wird es ihnen noch leid tun.«
    Während er nun in ihrem Zimmer wartete und die Kohlezeichnungen betrachtete, die überall an der Wand hingen, die Blumenvase auf dem Fernseher und das große Foto Juwiks darüber, sann er über ihre Zurückhaltung nach. Dieses Zimmer, das zur Kochecke hin offen war, strahlte eine asketische Einfachheit aus. Es fehlte der große Kühl schrank, von dem Chawale so sehnsüchtig gesprochen hatte, es gab noch nicht einmal eine Kaffeemühle. Aharon dachte an die asketische Haltung, die sie sich im Lauf der Jahre angewöhnt hatte, Inbild davon die Standardmöblierung – ein braunes, dreisitziges Sofa und zwei Sessel an beiden Seiten des Tisches, dazu ein kleiner beigefarbener Teppich –, an die vollkommene Sauberkeit, die hier herrschte, als würden sich nachmittags keine Kinder hier aufhalten. Dann fiel ihm ein, daß die Kinder zu Dworka gingen, also ging Osnat auch zu ihr.
    Der Nirosta-Spülstein blinkte, und in dem elektrischen Kochtopf, den er mit Wasser füllte, um sich eine Tasse Kaffee zu machen, sah er eine verzerrte Spiegelung seines Gesichts. Ihm war klar, daß Osnat sich noch immer Tag für Tag der wütenden Reinigung des Fußbodens widmete, so wie sie es früher getan hatte. Oft genug hatte Lotte, die Betreuerin, gesagt: »Wenn Osnat im Kinderhaus geputzt hat, kann man vom Fußboden essen.« Mit einem Gefühl der Trauer dachte er auch an die betont strenge Kleidung, die sie sich zu tragen angewöhnt hatte. Das fiel ihm auf, als er den Fernseher eingeschaltet hatte, halb automatisch, ohne sich zu fragen, was er bis zu ihrer

Weitere Kostenlose Bücher