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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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hinbekommen. Und wenn sie den Ausdruck »eine unterprivilegierte Frau« hörte, bezog sie das in keiner Weise auf sich. Dabei zog sie allein sechs Kinder auf, und sie ernährte sie auch allein, seit nach einem Arbeitsunfall Alberts Rückenschmerzen begonnen hatten und er die meiste Zeit im Bett lag, abgesehen von den monatlichen Besuchen beim Büro der Sozialversicherung, um seine karge Rente zu kassieren, und seinem täglichen Gang in die Stadt, wo er Leute traf und einen türkischen Kaffee trank, manchmal auch einen mit Wasser vermisch ten Arrak. Obwohl sie außer Haus arbeitete, nachdem sie vorher geputzt, aufgeräumt und gekocht hatte, und obwohl sie, wenn sie dann von der Arbeit zurückkam, auch noch Nachbarskinder beaufsichtigte, wenn es nötig war, und obwohl sie oft lange ihren Schwagern und Schwägerinnen und den Kindern ihrer jüngeren Schwester zuhörte, die kamen, um ihr ihr Leid zu klagen, schien Simcha ihr Schick sal zu akzeptieren und strahlte immer eine gewisse Zufriedenheit und sogar Freude aus.
    Außer bei der Beerdigung ihrer Mutter und der Geburt ihres dritten Kindes, das tot auf die Welt gekommen war, hatte sie nur noch ein einziges Mal beinahe geweint. Das war, als man ihr den Gips vom linken Arm entfernte, der gebrochen war, als sie einem Nachbarskind nachgerannt war, und sich herausstellte, daß der Arm steif war und sie von einem Physiotherapeuten behandelt werden mußte. Der Arzt in der Krankenkassenambulanz fragte sie: »Wo arbeiten Sie denn, Frau Malul?« Als sie es ihm sagte, erkundigte er sich nach ihrem Mann, ihren Kindern, und dann direkt nach ihrem Lebensunterhalt. Sie beschrieb ihm ihren Tagesablauf. Er blickte sie an und seufzte, und sie sagte: »Was soll man da machen?« Und als sie hinzufügte: »Es ist schwer, Doktor, sehr schwer«, spürte sie, wie ihr die Tränen in die Augen traten, jedoch nicht deshalb, weil ihr Leben so hart war, sondern wegen des Blicks, mit dem der Arzt sie betrachtete, voller Mitleid und Hilflosigkeit. Hätte man sie gefragt, hätte sie nicht angeben können, warum dieser Blick ihr Tränen in die Augen trieb, Tränen, von denen sie nicht einmal gewußt hatte, daß sie in ihr waren. Sie hätte nur sagen können, daß sie sich statt dieses jungen Arztes mit den blauen Augen lieber Dr. Ben Sakan gewünscht hätte, der keine Fragen stellte, sich mit einer kurzen Untersuchung und der Ausstellung eines Rezepts begnügte. Aber Doktor Ben Sakan hatte Urlaub, und sein Vertreter war ein junger Mann, der sie für einen Monat krank schrieb.
    Sie benutzte dieses Attest aber nicht, sie hatte Angst, man würde einen Ersatz für sie finden, denn wie lange konnten sie bei der Hauspflege im Kibbuz ohne sie zurechtkommen? Jahrelang hatte sie als Putzfrau gearbeitet, erst in Privathäusern in Kiriat Malachi, dann im Krankenhaus von Aschkelon. Dort war die Arbeit zwar leichter, doch die Schwestern waren hart, die Kranken litten sehr darunter, und die Busfahrten fielen ihr schwer. Deshalb tat sie etwas, was sie von sich aus nie im Leben gewagt hätte: Unterstützt von der Oberschwester der inneren Abteilung, in der sie arbeitete, meldete sie sich für einen Kurs für Krankenpflegerinnen. Der Kurs dauerte sechs Monate, und als er fertig war, bekam sie, es war jetzt zwei Jahre her, den Job im Kibbuz.
    Jetzt, mit neunundvierzig, als Großmutter von fünf En kelkindern, konnte sie sich manchmal an ihrem Arbeits platz sogar ausruhen. Wäre da nicht die Sache mit Motti, könnte sie ruhig leben, denn sie kam nun mit dem Geld aus. Sie aßen nur am Freitag Huhn, an den übrigen Tagen begnügten sie sich mit Gemüsegerichten und dicken Suppen, außerdem konnte sie aus den Flügeln des Suppenhuhns vom Freitag wunderbare Omeletts machen. Doch das Problem mit Motti raubte ihr den Frieden.
    Motti war erst zwölf Jahre alt, aber Simcha wußte, daß alles verloren war, wenn es ihr nicht bald gelang, seinen Weg in andere Bahnen zu lenken. Motti war ihr jüngster Sohn, außer ihm war nur noch die dreizehnjährige Limor daheim, ein gutherziges, gehorsames Mädchen, das ihr auch bei der Hausarbeit half. Simcha erkannte sofort, welche Zukunft Motti bevorstand, mit vielen Jungen aus der Nachbarschaft war es so gekommen, und Simcha hatte die Anfänge immer sofort erkannt. Sie wußte alles über die nächtlichen Besuche der Polizei, über das Geschrei, die zerstörten Familien, das gestohlene Geld. Sie kannte auch die Jugendlichen, die sich den ganzen Tag im Stadtzentrum herumtrieben, ohne etwas

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