Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
Balilati die Kassette aus dem kleinen Aufnahmegerät. Als die Kassette unterbrochen wurde, die Sipo von seinen Gesprächen mit Herzl Cohen mitgebracht hatte und die den Namen des belgischen Sachverständigen, den Felix in Amsterdam getroffen hatte, enthielt, versteinerte sich Balilatis Gesicht. Es nahm den verlegenen, beinahe schlafwandlerischen Ausdruck eines Menschen an, der sich nicht daran gewöhnen konnte, daß die Realität ständig die eigenen Vorurteile widerlegte. Es war an seinem Mund zu ersehen und an der Schlaffheit seiner Lippen und beherrschte auch seine Augen, die Michaels mechanischen Bewegungen folgten. Michael klopfte mit einem Bleistift auf den Tisch, während er ausgiebig mit Jean Bonaventura sprach, einem notationskundigen Musikforscher, der auf das Barock spezialisiert war und der, wie es sich herausgestellt hatte, vor mehr als sechs Monaten in Brüssel die Papiere aufgesetzt und mit seiner Unterschrift bestätigt hatte, die die Vermutungen Isi Maschiachs bekräftigten. Michael waren die musikalischen Erklärungen – auf französisch mit einem schweren belgischen Akzent – vertraut. Auch der Belgier beschrieb die Zeichen, die bewiesen, daß es sich um ein Requiem von Vivaldi han delte. Er hielt sich beim »Lacrimosa« auf, bewunderte beson ders den Sekundkanon und beklagte sich über die Verzögerung bei der Veröffentlichung des Werkes. Danach erklärte er, daß er sich gegenüber Felix van Gelden zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet und dies sogar vor einem Notar aktenkundig gemacht hatte.
Es war notwendig gewesen, den Ersten Sekretär der isra elischen Botschaft in Brüssel persönlich zu bemühen (»ein Freund von mir aus der Armee«, sagte Balilati, als er versprach, »in einer Stunde das Problem zu lösen«), um Bonaventura zu überzeugen, behilflich zu sein und eine offizielle Erklärung abzugeben.
Michael, der sein Gesicht von Balilati abkehrte, um sich auf das Gespräch zu konzentrieren, spürte die Bemühungen Balilatis, seine Worte mitzuschreiben, während die Stimme im Lautsprecher des Telefons zu hören war. Er hörte Balilati die Worte wiederholen, mit denen er eilig den französi schen Redeschwall übersetzte, und bemerkte jedesmal, wenn er den Kopf drehte, wie Balilati sich Mühe gab, auf dem karierten Papier in numerierten Absätzen Formulierungen wie »Papieralter«, »Alter der Tinte«, »Wasserzeichen«, »erlesenes venezianisches Papier«, »Techniken des ...« festzuhalten. Er schrieb in großen Buchstaben, und seine Zunge glitt über seine vollen Lippen. Einmal berührte Balilati Michaels Schulter: »Was war das für ein Wort? Technik von was?« verlangte er zu wissen, und Michael entschuldigte sich bei dem Sachverständigen, stellte den Lautsprecher ab und antwortete ihm: »Prägetechnik. Er sagt, es ist typisch für das Druckverfahren der damaligen Zeit. Der Druck der Notenlinien. Er sagt, es sind keine durchgehenden Linien, sondern einzelne Striche, die sich zu einer Reihe verbinden.«
Balilati nickte, und Michael ließ den Lautsprecher erneut an, und wieder füllte sich der Raum mit der heiseren, lau ten Stimme eines alten Mannes, den man aus dem Schlaf ge rissen hatte und der mit großer Erregung erklärte, wie er die Handschrift des neu entdeckten Requiems mit Vivaldis Handschrift verglichen hatte, und zwar anhand der vom Komponisten geschriebenen Einleitung seines c-Moll Konzertes für Streicher und Continuo. Bonaventura bestätigte, daß die Noten in ihren Händen tatsächlich aus der Feder eines Kopisten stammten, bis auf den Part der Oboe d'amore, den Vivaldi persönlich hinzugefügt hatte.
»Ich kann es immer noch nicht glauben, sieh mal einer an, was dieser Sipo aus ihm herausgeholt hat!« sagte Balilati, als er die Kassetten erneut abhörte, die Hinweise auf das Gespräch mit dem belgischen Experten und mit dem Rechtsanwalt enthielt. »Man muß irgend etwas dazu sagen, was meinst du?« sagte Balilati reumütig.
»Bist du bereit, in den Sitzungssaal zu kommen?« fragte Michael. Er war nervös, weil er den Kloß spürte, der sich in seinem Hals bildete, und weil er das Gefühl hatte, daß Katastrophen ihn erwarteten. »Seit über zwei Stunden warten sie dort auf uns.«
»Was denn, spiele ich hier etwa Bridge?« verteidigte sich Balilati zornig. »Es ist besser, wenn all diese Dinge vorher klargestellt sind.«
Im Sitzungsraum stand Eli Bachar hinter der Schulter Awrams, der schon am Tisch saß und die Papiere vor sich studierte. Zila, die nach
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