Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
populärsten war Vivaldi in Deutschland. Schon 1711 druckte Etienne Roger, ein holländischer Verleger, was zu den wichtigsten musikalischen Veröffentlichungen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde, ein Werk von Vivaldi, ›L'estro armonico‹, zwölf Konzerte für Solo-Violine, für zwei Violinen und vier Violinen.«
»Sie sind sich also vollkommen sicher, daß das Vivaldi ist?« vergewisserte sich Michael.
»Ich bin mir ziemlich sicher. Selbst wenn es nicht seine Handschrift ist, ist es mit Sicherheit ein Exemplar für ein Stück, das ein Kopist für ihn vorbereitet hatte. Es kann kein Imitat sein. Kein Mensch in Venedig hätte es sich erlaubt, in einer öffentlichen Zeremonie etwas aufzuführen, das so typisch für Vivaldi ist. Mit dem Sanctus, das er aus seinem Gloria übernahm. Und auch der Stil ... Ich wünschte, ich wäre mir nicht so sicher. Ich wünschte, es wäre kein Vi valdi ... Wie kann es nur sein, daß er kein einziges Wort ... Er hat mir nichts gesagt!« rief er wieder.
»Erklären Sie mir Vivaldis besonderen Stil«, bat Michael. »In knappen Worten.«
»Jetzt?«
Michael nickte, und Isi Maschiach lehnte sich in einer deutlichen Pose der Erschöpfung zurück. »Er hatte ein besonderes Faible für das, was man im Barock ›Bizarrerie‹ nannte«, sagte er, während er zum gegenüberliegenden Fenster sah, aus dem seine Augen die Dunkelheit aufnahmen. »Man hat es sogar in den › Jahreszeiten ‹ , die an Bizarrerie al les übertreffen und voll von überraschenden Effekten sind. Er war äußerst originell, und hier, im ›Dies irae‹«, er klopfte zaghaft auf den Tisch, »wimmelt es nur so davon«.
»Und das ist alles? Das genügt?«
»Eine andere Sache«, fuhr Isi Maschiach nach einer langen Pause fort, »ist, daß hier in den Chorteilen seine Abstraktion deutlich wird. Es stimmt, wenn man normalerweise von einem lyrischen Barockmelodiker spricht, meint man Corelli, aber auch Vivaldi hat es beherrscht. Und was das besondere an ihm ist, ist, daß er in der Lage war, verschiedene Abschnitte ohne Melodie zu komponieren, nur mit wiederholten Motiven in verschiedenen harmonischen Umkehrungen, wie im Concerto ›La notte‹.«
»Und das sind genug Beweise für seinen Stil? Nach solchen Kriterien würden Musikwissenschaftler sich richten?«
Isi Maschiach seufzte. »Selbst wenn es nicht Vivaldi selbst war, auch dann ist es Millionen wert«, sagte er gleich gültig. »Aber ich bin mir sicher, es ist sehr überzeugend, daß das Vivaldi ist. Sie würden es bestätigen.«
»Und so etwas findet man plötzlich in einer alten Orgel in Delft?«
»Die Messe von Berlioz fand man in Belgien im oberen Regal des Organisten in der Kirche. Ein Bündel Papiere, mit einer Schnur umwickelt, mit Staub bedeckt, achtlos abgelegt«, erzählte Isi Maschiach. »Solche Dinge hängen mit Erbschaftsgeschichten zusammen und ähnlichen Komplikationen. Wissen Sie, Musiker bewahren die Noten an den unmöglichsten Orten auf. Warum nicht in einer alten Orgel in Delft.«
»Ich weiß nicht, ob Sie es verstanden haben«, sagte Balilati langsam, »aber wenn die Noten Gabriel van Gelden gehörten, sind Sie der Erbe, denn er hat alles Ihnen vererbt. «
Isi Maschiachs Gesicht wurde grün. Mit starren Augen sah er den Packen Hefte an und beeilte sich, die Hände vom Tisch zu ziehen. »Er hat mir nichts davon gesagt«, jammerte er erneut und warf den Kopf hin und her. »Nicht ein Wort. Er wollte nie und nimmer, daß sie mir gehören. Sie gehören nicht mir, wenn es nicht offiziell vermerkt ist. Viel leicht verdiene ich es auch wirklich nicht, denn ich habe ihm nicht vertraut, und ich habe ihn beschuldigt ...« Seine Lippen schmollten beleidigt. »Und wenn es nicht seine Absicht war, daß die Noten mir gehören, will ich sie nicht haben.«
»Wie konnte es seine Absicht sein?« sagte Balilati fast mitleidig. »Er dachte, er würde die Sache selbst herausbringen. Er wußte ja nicht, daß jemand ihn deshalb einen Kopf kürzer machen würde.«
»Das war der Grund?!« Isi Maschiach schreckte zurück, sah sich um. »Deshalb?! Wer?!«
»Theoretisch könnten Sie es gewesen sein«, rief Balilati in Erinnerung.
Isi Maschiach sah ihn mit Unverständnis an. »Ich wußte gar nichts davon ... Er hat mir gar nichts gesagt ... Ich ...«
»So etwas ist schon vorgekommen«, sagte Balilati. »Schon für viel weniger als das.«
»Aber ich wußte gar nichts davon!«
Niemand sagte ein Wort.
»Ich will sie nicht mehr sehen«, flüsterte Isi
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