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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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und betrachtete Adas Profil, die Krümmung der Lippen und die feinen Fältchen in den Mundwinkeln, den zarten Flaum auf ihrer Oberlippe, die Stupsnase, und Freude durchflutete ihn. Dieses Gesicht, mit dem ernsten, in sich gekehrten Ausdruck, rührte sein Herz. Er hatte nun ein anderes Wesen in sich zu mobilisieren, um zur Mordkommission zurückzukehren, zu dem dicken Mädchen im blauen Trainingsanzug und dem Hund, offenbar ein Pudel, der zusammen mit ihr verschwunden war. Nesja hieß sie, das Mädchen. Schon damals hatte er das deutliche Gefühl, dass sie weit mehr wusste, als sie sagte, und anscheinend hatte er Recht behalten, dieses Wissen hatte ihr geschadet. Allerdings hatte er das nicht rechtzeitig beachtet. Wenn er damals den Verdacht gehabt hatte, dass sie mehr wusste, weshalb hatte er sich nicht darum gekümmert, sie zu beschützen? Warum hatte er keinen Polizisten hingeschickt oder sie von dort weggebracht? Es stimmte, man konnte unmöglich auf jeden aufpassen, der vielleicht etwas wusste, aber falls das Mädchen wirklich aus diesem Grund verschwunden war, dann war es klar, dass es sich um jemanden aus der nächsten Umgebung handelte, aus dem Viertel oder sogar aus der Straße. Und zwischen dem Mädchen und Zohras zerschmettertem Gesicht war Ada mit dem Honiggeruch ihrer bräunlichen Haut, ihren braunen, wie misstrauisch zusammengezogenen Augen und ihren vollen schweren Brüsten, so weit entfernt von den Knospen jener vergangenen Tage und so überraschend an dem knabenhaft schlanken Körper. All das hätte einen Menschen, der mitten in einer Morduntersuchung steckte, eigentlich stärken können, und dennoch überfiel ihn an der Kurve des Kikar Zarefat plötzlich das Entsetzen, dass es ihm vielleicht schwer fallen würde, sich von ihr zu trennen; dass die völlige Gelöstheit, die er sich diesmal zugestanden hatte, die ansonsten weder in der ersten Nacht mit einer Frau noch in den folgenden seine Art war, einem Abschütteln aller Erfordernisse seines Berufes gleichkäme.
    Ada nahm ihre Hand von der Gangschaltung und legte sie auf die seine. Er sog die kühle, frische Luft vom offenen Fenster ein. Der Himmel hatte sich bereits aufgehellt, und dem Blau nach zu schließen, zeichnete sich ein sonnenüberfluteter, strahlend klarer Tag ab. Die Mauern der Altstadt offenbarten sich plötzlich für einen Augenblick jenseits des Unabhängigkeitsparks, nachdem der Bau des Sheraton Plaza den Blick darauf nicht mehr versperrte, bläulich in ihrer majestätischen Pracht, und er sann über diese Stadt nach, ihre Erbärmlichkeit, die das helle Sonnenlicht an den Tag bringen würde: überflüssige Zweige von Laubhüttendächern, auf den Bürgersteigen im Stich gelassen, leere Bier flaschen, zerquetschte Dosen, Zigarettenstummel, alte Zeitun gen, Abfallhaufen, aufgetürmt in den Eingängen der Restaurants entlang der King-George- und Jafostraße. Zwei Filipinos lager ten zu Füßen der Bank am Kikar Zion.
    »Widerlich«, murmelte Ada und hielt an der Ampel an.
    »Was? Diese Filipinos?«
    »Nein, welche Filipinos? Das sind einfach nur arme Kerle, die nicht wissen wohin an ihrem halben freien Tag. Diese Stadt ist widerlich mit diesem ganzen Dreck, das ist einfach ekelhaft hier. Alles kommt jetzt ans Licht, und nicht nur der Müll. Man muss wahnsinnig sein, hier zu bleiben und sich auch noch ein Haus zu kaufen!«
    »Hier, du kannst mich da absetzen«, Michael deutete auf einen Lotteriestand an der Ecke der Heleni-Hamalka-Straße, »ich kann das Stückchen zu Fuß gehen, und du kannst geradeaus weiterfahren und zurück ins Bett.«
    »Ich lasse dich da raus, wo ich will, wenn überhaupt«, murmelte Ada und bog in die Straße ein, »und ich gehe in gar kein Bett mehr zurück. Ich werde aus Solidarität auch gleich arbeiten, und du wirst mich anrufen und mir sagen, was genau mit dem Mädchen passiert ist. Schau dir diese Kuppel an«, sie deutete auf die russische Kirche, deren Türme in der Sonne leuchteten, »man darf den Blick nicht auf die Straßen richten, wenn man hier ein bisschen Schönheit sehen will, muss man nach oben schauen, zum Himmel.«
    »Und deswegen«, sagte er, als der Wagen, etwas entfernt vom Haupteingang, am Migrasch Harussim anhielt, »ist es besser, auch das Dach auszubauen. Damit es die Möglichkeit gibt, oben hinauszuschauen.«
    »Nur dass dort eine Leiche war«, erinnerte sie ihn wieder, als er gerade die Wagentür öffnen wollte.
    »Und weil wir sie gefunden haben«, sagte Michael geduldig, »haben wir eine

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