Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
dem Hund spazieren gegangen und nicht mehr zurückgekommen? Seit gestern Nacht? Ich habe gesehen, dass du deinen Wagen hier gelassen hast, willst du, dass ich ...«
»Nein, nein, ich komme gleich«, murmelte Michael und blickte Ada fragend an, die bereits an der Seite des Bettes stand und sich schnell den Gürtel ihres blauen Morgenmantels zuband. Er unterbrach die Verbindung.
»Welches Mädchen?«, fragt Ada, »ist einem Mädchen etwas passiert? Hängt das mit ...«
»Ein zehneinhalbjähriges Mädchen aus dem Haus gegenüber ist verschwunden«, antwortete Michael und ging in Richtung Bad. Ada folgte ihm, und ihre nackten Fußsohlen klatschten auf dem Boden.
»Wo gegenüber? Gegenüber meinem Haus? Das ich gekauft habe?«, fragte sie mit offener Besorgnis.
»Nein, gegenüber dem Haus der Familie Baschari. Seit gestern Nacht. Ist mit dem Hund spazieren gegangen und nicht heimgekommen«, erläuterte Michael, während er sich Wasser ins Gesicht schüttete. Zu einer Rasur würde es nicht reichen, überlegte er, während er sein Kinn befühlte, und rechts davon erblickte er ihr Gesicht, das ihm ebenfalls aus dem Spiegel entgegensah.
»Noch eine«, sie presste ihre Finger gegeneinander, »zuerst dieses junge Mädchen, Zohra, und jetzt ein kleines Mädchen ...«
»Sie ist verschwunden. Kinder sind manchmal ... vielleicht hat sie mit ihrer Mutter gestritten ... vielleicht ist sie zu Freunden ge gangen, ich weiß keine Einzelheiten, es ist überhaupt nicht sicher, ob es einen Zusammenhang zwischen den Fällen gibt.« Aber auch in seinen Ohren echote der hohle Klang seiner Worte, an die er selbst nicht glaubte.
»Meinst du, dass man sie auch auf dem Speicher findet?«
»Ich denke nicht, und ich habe dir schon gesagt – vielleicht hat es überhaupt nichts miteinander zu tun.«
Ada ließ sich auf dem Badewannenrand nieder. Seine Worte hatten sie nicht beruhigt. Der Ausschnitt ihres Morgenmantels verriet ihm ihre beschleunigten Atemzüge. »Ich muss dieses Haus zurückgeben«, sagte sie, »ich hätte es nicht kaufen dürfen.«
Michael legte das Handtuch aus der Hand und kniete sich neben sie: »Was redest du da?! Was hat das damit zu tun?«
»Ich weiß nicht«, ihre Augen waren halb geschlossen, »Menschen – dürfen sich nicht über das hinwegsetzen, was ihnen zusteht, über das hinaus, was in ihrem Schicksal geschrieben steht.«
Er hatte schon gelegentlich einen Blick auf diese Seite von ihr erhascht, wenn sie von der Hand des Schicksals sprach, und dennoch war er im Moment verblüfft, bei einem Menschen wie ihr konkret Aberglauben vorzufinden. »Wo steht das geschrieben?«, fragte er schnell.
»Ich hätte es nicht tun dürfen«, klagte Ada, als hätte sie seine Frage nicht gehört, »dieses Haus ist nicht ... es steht mir nicht zu, es ist nicht mein Schicksal. Jahrelang habe ich dieses Haus angeschaut und gewusst, dass es nichts für Menschen wie mich ist. Dass es ... zu schön, zu gegenwärtig ist, zu viel Persönlichkeit hat. Zu teuer. Das ist nichts für mich. Und nun ... Tatsache.«
»Was Tatsache?« Er setzte sich neben sie auf den Badewannenrand und legte seinen Arm um sie, und während seine Finger ihre schmale Schulter und den zarten Schlüsselbeinknochen berührten, versuchte er die Stimme in sich zum Schweigen zu bringen, die ihn zur Eile antrieb.
»Es ist eine Tatsache, dass in dem Moment, in dem es mir gehört, noch bevor ich angefangen habe, darin zu leben«, sagte sie, und ein Schluchzen stahl sich in ihre Stimme, »zuerst die Leiche und dann das Mädchen, dass ... und wieso habe ich mir in den Kopf gesetzt, auch noch das Dach auszubauen? Durchzubrechen, Boden, Wände und die Isolierung – das übersteigt die Mittel, die ... ich ... du weißt, ich kann mir solche Dinge nicht erlauben, mein ganzes Leben so zu verpfänden in meinem Alter ... und das Dach, das hätte ich ganz sicher nicht antasten dürfen, alles aus Begehrlichkeit. Das Haus war die reine Gier, und das Dach noch viel mehr.«
»Man könnte es genauso gut umgekehrt sehen«, wandte Michael ein.
»Wie? Wie umgekehrt?«
Er sah Juvals Gesicht als Vierjähriger vor sich, wie er aufgelöst vor dem Käfig mit den Hamstern stand, die ihnen für den Schabbat, während der Kindergarten geschlossen hatte, zum Füttern anvertraut worden waren. Er hörte die kleine Stimme, verzerrt vor Entsetzen, rufen: »Sie sind tot, Papa, sie sind tot, ich hab geschlafen, und sie ... sie sind gestorben. Ich hab sie umgebracht, Ora, die Kindergärtnerin,
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