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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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auf dem Kopf verstreut, der eine winzige Thorarolle hielt, und Natanael fragte sich einen Moment, was dieser Junge mit den Kindern zu tun hatte, die ihn betrachten würden, die mit Begeisterung Karten von Pokemons sammelten. Danach wandte er sich der Trennwand zwischen der Halle und der Frauenabteilung zu und zog die Spitzenvorhänge mit den darauf gestickten gol denen Schmetterlingen vor, auch sie eine freiwillige Arbeit. In we nigen Stunden würde das Gebäude voller Menschenlärm sein, und die Männer würden die Thorarollen aus dem Schrein holen, mit ihnen im Kreis tanzen und die Kinder auf die Schultern nehmen, und die Frauen, die dann die Trennvorhänge beiseite schie ben würden, sähen ihnen mit strahlenden Gesichtern zu. Von allen jüdischen Festen war ihm Sukkot das liebste, vielleicht wegen dieser Erinnerung, an seinen Vater, der ihn auf den Schultern trug, und an das bemalte Pappfähnchen, das er dort oben geschwenkt hatte mit dem Apfel am Stecken. Und er erinnerte sich auch an den süßen Geschmack der Herbstluft, als sie hinausgetreten und nach Hause gegangen waren, und er und seine kleinen Geschwister trugen Töpfe und Kupferschüsseln zur Laubhütte, der Düfte nach Paradiesäpfeln entströmten (jedes Jahr nahm ihr Vater sie auf den Markt mit, um glatt koschere Paradiesäpfel zu suchen). Ihre Großmutter, auf ihren Stock gestützt, schritt hinter ihnen her und passte auf, dass ihnen nichts aus der Hand fiel, weder ihnen noch ihrer Mutter, die immer seinen innigst geliebten Leckerbissen trug – orangefarbene Quitten in Zucker gekocht.
    Die leere Naftalistraße entlang, auf die er jetzt hinaustrat, wehte der scharfe, peinigende Geruch der blühenden Johannisbrotbäume, an den er sich aus seiner Kindheit erinnerte. An der Ecke der Rakevetstraße blickte er wieder zu dem braunen Tor mit der Steinmauer und dann auf seine Uhr, kämpfte mit sich, ob er an Lindas Haustür klopfen sollte (den Schlüssel benutzte er nur, wenn er wusste, dass sie allein war) und sie fragen, ob sie etwas darüber wüsste, wo Zohra war. Doch Mosche Avitals silberfarbener Rover parkte noch immer vor dem Tor, und weil er nicht wie ein misstrauischer Liebhaber erscheinen wollte, versagte er sich auch einen Anruf. Auch mit seinen Eltern wollte er nicht tele fonieren, um sie nach seiner Schwester zu fragen, denn eine solche Frage würde nur Sorge bei ihnen auslösen, und überhaupt hatte er sein Mobiltelefon zu Hause gelassen. So fand er sich also die Schimschonstraße hinaufgehen in Richtung Bethlehemer Landstraße und den Fleischerladen des Viertels betreten, nachdem ihm das Feiertagsessen eingefallen war, das Hagar plante, und sein Versprechen, dass er sich auch um das Fleisch kümmern würde.
    Sofort teilte ihm Mosche, der Älteste der Metzger, mit, dass der Laden geschlossen sei, und beeilte sich, die Tür hinter ihm ab zusperren. »Auch wir haben noch was fürs Fest zu tun«, murrte er und schlurfte schwerfällig zu dem großen Kühlschrank. Das dicke goldene Armband am Handgelenk seines jüngeren Bruders blitzte auf, während er das Schlachtermesser über der Lammhaxe schwang und einen Moment einhielt, bis der Käufer vor ihm mit einem Nicken bestätigte. Mit geübter Bewegung begann er, das Fleisch zu schneiden, und der Käufer, der sich umgedreht hatte, um zu sehen, wer hereinkam, und dessen Blick auf Natanael stieß, wandte hastig die Augen ab. Auch Natanael gönnte Efraim Benesch keinen weiteren Blick, im Gegenteil, ihn packte der Drang, sofort den Laden zu verlassen. Dennoch blieb er, und aus den Augenwinkeln erfasste er, wie Benesch die Hände des jungen Metzgers verfolgte, der mit schnellen Bewegungen die Fettschicht vom Fleisch entfernte und zwischen einem Schnitt und dem nächsten auf die israelische Propaganda in der Welt und die vom Außenministerium schimpfte, die überhaupt nicht daran dach ten, den Staat auf positive Weise darzustellen, und das noch nach der ganzen Zurückhaltung gegenüber den palästinensischen Provokationen. »Schau dir den Arafat an«, sagte Josef, der Metzger, und warf die weißlichen Fettscheiben beiseite, »schau dir an, wie sie dieses Foto mit dem kleinen Jungen, der erschossen worden ist, ausschlachten. Du kannst mir glauben, die schicken ihre Kinder los, um sich umbringen zu lassen, bloß damit man es fotografieren und die Bilder um die Welt schicken kann, ein bisschen Fett lasse ich dran, denn sonst wird das Fleisch zu trocken und Frau Klara bringt mich um.«
    »Machen Sie es, wie Sie

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