Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
er das Telefon läu ten, doch bis er die Tür geöffnet hatte, war das Klingeln ver stummt. Er legte die Fleischtüte in den Kühlschrank und hielt sich kurz in der Küchenecke auf, die, wie die gesamte Wohnung, Gerüche nach Putz- und Reinigungsmitteln verströmte, Billigaktionskäufe seiner Frau, mit denen sie die Regale in der Wasch kammer füllte. Die Stühle des Esstisches waren noch hochgestellt, und die taubstumme Putzfrau (eine Peruanerin, die sich ohne Arbeitsgenehmigung im Land niedergelassen hatte und deren Beschäftigung Linda für eine gute Tat hielt) war darin vertieft, das Spülbecken in der Küche zu schrubben.
Erst danach schob er sein Versäumnis auf die Haushaltshilfe (er war nicht gerne zu Hause, während sie arbeitete, ihn bedrückten ihre ängstlichen Blicke, als ob er über sie herfallen würde): Er hörte den Anrufbeantworter nicht ab, und daher war er in der verbleibenden Stunde bis zum Beginn des Festes nicht auffindbar. Auf dem Weg zu seinen Eltern, denen er ein frohes Fest wünschen wollte, kam er auf die Idee, noch einmal in der Naftalistraße an der Synagoge vorbeizugehen. Doch niemand wartete dort, auch der Bürgersteig gegenüber war leer. Mosche Avitals silberfarbener Rover parkte nicht mehr vor dem braunen Tor, und so beschloss er, Linda auf einen Sprung zu besuchen. Und da sie derart jubelte bei seinem Anblick, wurden aus diesem Sprung am Ende zwei Stunden, in denen kein Mensch wusste, wo er war.
Viertes Kapitel
Nesja heftete ihre Augen auf die quadratischen Linien der Pflastersteine des schmalen Gehsteigs unter ihren Füßen. Rosi zog sie stürmisch schnüffelnd in die Quadrate hinein oder in Richtung der Büsche, während Nesja, die sich vor den Fugen hütete wie vor Falleisen, sie an den Rand des Bürgersteigs zurückzerrte. Einem Mädchen wie Nesja, das so schwer an seinem Gewicht zu tragen hatte, dessen Innenseiten der Oberschenkel beim Gehen aneinander rieben und sich brennend röteten, fiel es schwer, zweimal am Tag einer Hündin hinterherzurennen: einmal frühmorgens vor der Schule, und einmal am Abend vor dem Schlafengehen. Nicht dass Nesja unter diesen Spaziergängen gelitten hätte; sie liebte sie und wusste sehr gut, dass sie auch für Rosi die schönsten Momente des ganzen Tags waren. Aber diese Rosi, nun, sie dachte gar nicht daran zu zeigen, dass sie sich freute. Dafür dank bar zu sein, dass man derart mit ihr raste und dass Nesja so duldsam war, auch wenn ihr die Lederleine in die Hand schnitt. Die Leine verschwand in einer tiefen Fleischfalte, denn sogar die Hände waren bei ihr dick. Man hätte doch erwarten können, dass es Rosi auffiel, dass sie sie heute auch am Mittag ausführte, dass sie mit dem Schwanz wedeln oder freudig bellen würde oder so etwas. Aber Rosi war anscheinend schon von Nesja angesteckt worden; auch ihr sah man nichts mehr an. Ihr Bellen, wenn sie es angesagt fand zu bellen, war immer gleichbleibend, nur beim Zerren machte sie sich die Mühe abzuwechseln, einmal vorwärts, einmal zur Seite, einmal störrisch nach da, einmal nach dort.
Heute war ein besonderer Tag, und nicht nur weil am Abend das Laubhüttenfest begann, sondern auch wegen des Ärgers mit den arabischen Terroristen, wegen denen sie nicht im Dunkeln hinausgehen können würde, auch wenn sie ihrer Mutter erklärte, dass die Hündin sie bewachte. (»Die?«, ihre Mutter gab ein verächtliches Schnauben von sich, während die Hündin an der Tür winselte, als würde sie von ihrem Gejaule aufgehen, »die soll jemanden bewachen? Ihre eigene Mutter würde die verkaufen für eine Scheibe Wurst«.) So war das nun mal. Es bestand überhaupt keine Chance, dass ihr erlaubt würde, im Dunkeln hinauszuge hen, sogar wenn kein einziger Araber weit und breit auf der Straße war (außer Dschalal, den sie beim Lebensmittelladen getroffen hatte, aber Dschalal zählte nicht, weil der der Freund von Jigal war).
»Klar«, hatte ihre Mutter gestern gesagt, »klar, dass es jetzt keine Araber gibt. Am Tag fürchten sie sich, die Nase rauszustrecken, nur in der Nacht kriechen sie aus ihren Löchern.« Die Luft war kühl und klar, und Nesja atmete tief ein, während sie eine Tüte, Schalenreste, einen Schuh und Zeitungen betrachtete, die die Müllabfuhr auf dem Gehsteig zurückgelassen hatte. Und Rosi flüsterte sie zu, sie solle aufhören zu nerven, jawohl, und Danke sagen. Denn sie hätte Glück, sie kapiere bloß einfach nicht, welches Glück sie hätte, dass sie, Nesja, gesund sei und sie
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