Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
meinen«, sagte Benesch zu ihm, »ich verlasse mich ganz auf Sie.«
Natanael, der sein Gesicht von der gläsernen Theke abgewandt hatte, musterte feindselig den großen glänzenden Kühlschrank. Allein der Gedanke an Benesch reichte normalerweise schon aus, um lähmende Wut in ihm aufsteigen zu lassen, und jetzt, als er derart nah bei diesem Mann stand, der ihm und seiner Familie anhaltenden Kummer verursachte, wurde sogar die Luft, die er in seiner Gegenwart atmete, ätzend. Er war nur ein Nachbar, aber Nachbarn, die einem das Leben mit täglichem Kleinkrieg ver gällten, was konnte man schon dagegen unternehmen, außer ihnen das Haus anzünden?
Vor Jahren, als er noch beim Militär war, als junger Offizier, stolz auf seine Abzeichen, hatte er einmal versucht, mit Herrn Be nesch zu reden und mit ihm zu einem Waffenstillstand, wenn schon nicht zu einem Generalfrieden zu kommen, um beiden Fa milien das Leben zu erleichtern. Doch Herr Benesch, dessen helle kleine Augen in seinem fetten, großflächig sommersprossigen Gesicht hierhin und dorthin huschten (damals hatte er noch rote Haare auf dem Kopf), mied Natanaels Blick und wies, an den Rändern seiner himmelblauen Krawatte nestelnd, den Vorschlag zurück, sich auch nur zu einer Feuerpause zu verpflichten: »Wir machen gar nichts, reden Sie mit Ihrer Mutter, mit Ihr müssen Sie sprechen.« Sogar die Uniform und die Oberleutnantstreifen, die Natanael erhalten hatte, minderten das offenkundige Gefühl der Überlegenheit nicht, das aus allen Blicken des Herrn Benesch sprach. Wegen dieses Gesprächs hatte Natanael seine kleine Schwester das einzige Mal in seinem Leben geschlagen; der Gedanke an jene Schläge, die Zohra immer wieder bei ihren Disputen aufs Tapet brachte, manchmal sogar lachend, hatte im Moment, eine ganze Stunde nach dem ursprünglich vereinbarten Zeitpunkt ihrer Verabredung, etwas merkwürdig Peinliches. Er war damals schon Magisterstudent gewesen und Zohra vielleicht drei oder vier Jahre, als er sie eines Nachmittags in dem Lagerschuppen hinterm Haus fand, wie sie johlend in einer großen Holzkiste mit Joram Benesch, dem Nachbarssohn, spielte. Er begriff nicht, wie es diese beiden Kleinkinder gewagt hatten – nur ihre Köpfe, ein dunkler und ein heller, lugten aus der Kiste, und ihre Augen funkelten erschreckt, als er ins Innere spähte und sah, dass sie sich nackt ausgezogen hatten –, das strenge Verbot, das die beiden Familien über sie verhängt hatten, zu übertreten: nicht miteinander zu reden. Jetzt, als er sich daran erinnerte, wie er Joram Benesch aus der Kiste gezogen und ihn wie ein nacktes Katzenjunges in den Nachbarhof geworfen hatte und sofort danach auch Zohra herausgezerrt und geschlagen hatte, erfasste ihn ein unbehagliches Gefühl. Seine kleine Schwester war nicht heulend zu ihrer Mutter heimgerannt, sondern am Eingang des Schup pens stehen geblieben, hatte einige Minuten lang still geweint und dann gefragt: »Was hast du mit Joram gemacht? Hast du ihn umgebracht?«
Die Beneschs hatten die leere Hälfte des Zweifamilienhauses 1958 gekauft, das Jahr, in dem Natanael geboren wurde, und schon von Kindheit an erinnerte er sich an die verächtlichen Blicke der Eheleute, damals noch kinderlos, jedes Mal, wenn sie an ihm im Hof vorbeikamen (in den ersten Jahren, bevor sie das Terrain aufteilten, gab es noch keine Steinmauer dazwischen). Herr Benesch hatte keinerlei Respekt vor den älteren Rechten der Bascharis, die das Haus schon seit 1949 bewohnten. Die Beneschs hatten die gesamte Summe für den Kauf der Haushälfte bar auf den Tisch gelegt, ohne einen Groschen Rabatt – so sagte Herr Be nesch in jenem einzigen Gespräch, das ihm Natanael aufgezwungen hatte –, während die Familie Baschari »nur da wohnt, weil man sie aus dem Auffanglager in Rosch Ha’ajin hierher geschickt hat«. Im Jahre neunundvierzig, als die Araber ihre Häuser im Viertel im Stich ließen, wurden Natanaels Großeltern mit seinen Eltern, neben anderen Immigranten aus dem Irak, Marokko und Rumänien, aus dem Durchgangslager geholt und in den verlassenen Häusern untergebracht. Etliche Jahre lang war es noch mög lich, für billiges Geld dort Häuser zu erwerben, so wie es die Ehe leute Benesch getan hatten – »genau im allerletzten Moment«, wie sein Vater öfter bitter anmerkte –, bevor die Preise in die Höhe zu klettern begannen und sich jemand hätte vorstellen können, dass das irgendwann eine teure Wohngegend werden würde. Natanaels Eltern glaubten,
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