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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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das gesehen hätte, eine echte Affäre hätte man daraus gemacht. Ihre Mutter hatte Frau Josselson einmal erzählt – der Toyota war da gerade in den Parkplatz hineingefahren –, dass die Kinder, das heißt, Zohra und Joram, einander immer über den Zaun zugewinkt hätten und man wirklich sehen konnte, wie gerne sie miteinander gespielt hätten, aber ihre Mütter ließen es nicht zu. Und die Erziehung, hatte ihre Mutter zu Frau Josselson gesagt, tut das ihre. So ist das, nichts zu machen. »So ist das«, stimmte Frau Josselson zu, »was man von zu Hause mitkriegt, ist fürs ganze Leben. Der schaut sie nicht an, und sie hasst Aschkenasim. Nicht einmal einen Blick gönnen sie einander. Und wissen Sie was? Vielleicht ist das sogar besser als die ganze Heuchelei hier, da sagen sie Schalom-Schalom zu dir, und nachher reden sie hinter deinem Rücken über dich.« Wenn sie Nesja bemerkten, jagten sie sie sofort schimpfend weg, wer auch immer, sogar Zohra: Ja, wenn man zu einer Katze kschksch machte, war das wirklich noch höflicher.
    Als Nesja noch in der ersten Klasse war, zu klein, um ihren Platz zu kennen, stand sie einmal am Hof und schaute Zohra an, die in ihrem weißen Kleid und mit hochhackigen Schuhen aus dem Haus kam. Ihr schwarzes Haar schimmerte, ein süßer Duft blieb in der Luft hängen, auch nachdem sie ins Taxi gestiegen war. Und Nesja, sie wollte sie ja nur ansehen, höchstens einen Augenblick ihre Hand berühren, oder nicht mal das, bloß ihr weißes Kleid, aber Zohra sagte auf der Stelle: »Mach, dass du hier wegkommst, Kleine, siehst du nicht, dass du störst?« Das hatte sie zu ihr gesagt und das Taxifenster geschlossen, als ob sie sie völlig aus ihrer Welt aussperren wollte. Und Nesja, was hatte sie denn schon groß gewollt? Sie anschauen und vielleicht auch ein kleines bisschen anfassen. Und auch Dinge für sie tun, alles Mögliche – sogar für sie zum Laden gehen, ja –, denn wenn sie ihr nah genug wäre, würde vielleicht etwas von ihrer Schönheit auf sie abfärben.
    Aber Zohra schaute sie, noch bevor der Taxifahrer auch nur einmal gehupt hatte, angeekelt an, als sei es Nesjas Schuld, dass sie so aussah, und als ob sie sich gleich noch anstecken würde an Nesjas Fett, ihren Pickeln und an was nicht noch allem. Als hätte Nesja irgendeine ansteckende Krankheit. »Tu dir Parfüm drauf, so viel du willst«, hatte Nesja jedes Mal danach, wenn sie sie gesehen hatte, stumm zu ihr gesagt und hatte ihre Rache ganz langsam ausgebrütet: Nicht dass Nesja sie gehasst hätte, nein, wirklich nicht, ganz wirklich nicht, denn es war überhaupt nicht so wie mit jemandem, der einen schlägt und hässliche Sachen zu einem sagt, die man ihm nachher zurückgeben kann. Es war nur, dass dieser Blick, den sie nicht vergessen hatte, immer noch bren nend schmerzte. Er tat weh, ja, aber nicht wie Schläge, sondern anders, und deshalb stimmte es nicht, wenn man meinte, dass sie sie hasste, denn so war es nicht. Wirklich nicht. Sie war nur gekränkt, ja, aber eben nicht so, wie wenn jemand gemeine Sachen zu ihr sagte, sondern anders: bis in ihre tiefste Seele hinein, jawohl, denn auch sie hatte eine Seele unter den ganzen Pickeln und dem Speck.
    Wenn Nesja nicht bemerkt wurde, hatte das auch große Vorteile. Sie sah Sachen, von denen keiner von den Bewohnern der Straße auch nur ahnte, dass sie sie mitkriegte. Ganze Tage vergingen für sie in völliger Einsamkeit, und sie hatte angefangen, Beobachtungen anzustellen – und zwar dergestalt, wie sie es in der Naturkundestunde gelernt hatte, als die Lehrerin ihnen beibrachte, wie man Insekten und Pflanzen beobachtet und dann niederschreibt, was man gesehen hat. Als Nesja der Erklärung der Lehrerin lauschte, begriff sie, dass sie schon seit Jahren Beobachtungen betrieb, und seit sie gelernt hatte, wie man ein Be obachtungsprotokoll schrieb, versäumte sie es nie, das jeden Abend vor dem Schlafengehen zu tun, wenn sie von ihren Spaziergängen mit Rosi zurückkam. Es waren Berichte über die Straße, und in einem besonderen Notizbuch mit einem braunen Ledereinband trug sie Tag für Tag das Wetter und die Namen der Leute ein, die sie sah, falls sie sie beim Namen kannte, und auch die Nummern der parkenden Autos. Unter der Überschrift »Ungewöhnliches« beschrieb sie manchmal mit einem kleinen Satz besondere Vorkommnisse wie zum Beispiel: »Die Polizei kam und machte bei Mu’allem im Aufgang vier eine Durchsuchung«, »Frau Jo. hat den Araber davongejagt, der Geld von ihr

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