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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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organisiert und eine Kerze, die sie schon vorher hatte, sogar grün angemalt. Aber was genau Flachs war und was Schierling, gelang ihr nicht zu klären. Im Lexikon in der Schulbücherei stand, dass Schierling irgendein Gift sei, und woher sollte sie Gift kriegen?
    Stattdessen sammelte sie Sachen von Zohra: ein Papiertaschen tuch, das Zohra fallen gelassen hatte, als sie ins Taxi einstieg, ein Blatt von einem Blumenstock, der auf dem Fensterbrett ihres Zimmers stand (Nesja trocknete es zwischen den Seiten der Bibel), eine Haarnadel und sogar einen Büstenhalter von ihr, den sie von der Wäscheleine hatte mitgehen lassen. Auch eine Haarsträhne gelangte in Nesjas Hände, was das schwierigste Unterfangen von allem gewesen war, denn dazu kniete sie Morgen für Morgen unter Zohras Fenster und wartete, bis sie aufstand, sich anzog und kämmte und dann Haarsträhnen, die sich im Kamm verfangen hatten, nach draußen warf. Vier Tage musste sie warten – sie kannte Zohras Gewohnheiten schon alle ganz genau, aber sie hatte nie den richtigen Moment erwischt –, bis sich der grüne Laden ihres Fensters öffnete, das auf den Hinterhof hinausging, und eine braune Hand, lang und schmal, ein kleines Knäuel schwarzer Haare hinauswarf.
    Nesja schaute sich die Autos an, die dicht gedrängt am Straßenrand parkten. Der rote Toyota von Joram Benesch stand ohne die weiße Abdeckung, nackt, in einiger Entfernung vom Familienparkplatz. Er war anscheinend wieder spät in der Nacht zurückgekommen, und die beiden Wagen seiner Eltern hatten den überdachten Platz bereits besetzt. Vor zwei Tagen war seine Braut aus Amerika mit fünf blauen Koffern und einer großen gelben Tasche eingetroffen. Sie war nicht mal schön, diese Braut, und auch sonst nichts Besonderes. Bloß irgendeine, ein bisschen groß, mit platinblondem Haar. Und seitdem sie angekommen war, waren sie die ganze Zeit nur am Wegfahren und Wiederkommen.
    Ein rotes Lämpchen flackerte in dem Toyota, das automati sche Verriegelungslicht, und Nesja schaute liebend gerne zu, wie es ausging und anging wie ihr Herzschlag in der Nacht. Aber noch mehr liebte sie es, sich hinterm Zaun zu verstecken und Joram Benesch zu beobachten, wenn er das Auto wusch, in kurzen Hosen und mit nacktem Oberkörper, und die untergehende Sonne ließ ihn dann in Purpur und Gold erstrahlen, wie einen Prinzen, den ein Märchenvogel im Hof abgeworfen hatte. Es kam ihr vor, als seien seine nackten Beine mit Goldstaub überpudert und auch seine Hände, die die Flecken, die die Früchte des Maulbeerfeigenbaums hinterließen, vom Autodach kratzten.
    Joram Benesch hätschelte sein neues Auto, das er von seiner Arbeit erhalten hatte: Er schrubbte und wusch und polierte es, glitt mit seiner Hand darüber, umrundete es und kontrollierte, ob es einen Kratzer hatte, bevor er auf den Schlüsselkopf drückte und die automatische Verriegelung auslöste (zwei Piepser waren dann aus seiner Hand zu hören). Jeden Freitagnachmittag seifte er es mit einem gelben Lappen ein und spritzte es mit dem Gummischlauch ab, den er wie eine dressierte Schlange aus dem Gar ten zog. Dieser Wagen ist von seiner Arbeit, hatte Jorams Mut ter, Frau Benesch, der Frau Josselson, der Nachbarin aus dem zweiten Stock, erklärt, und dass ihn der Wagen nichts gekostet hatte, keinen einzigen Groschen. »Der ist automatisch mit drin, wenn man im Hightech arbeitet«, sagte sie und befingerte den Verschluss ihrer Perlenkette, als wollte sie sich vergewissern, dass sie noch da war.
    Nesja bemerkten sie fast nie, und wenn – beachteten sie sie nicht weiter. Vielleicht, weil sie bloß ein kleines Mädchen war, vielleicht, weil sie ihnen wie ein Nichts erschien. Und nicht nur ihnen. Joram Benesch zum Beispiel? Er wusste nicht einmal, dass sie existierte, dreiundzwanzig war er, noch nicht wirklich ein Mann, zu dem man »Herr« sagen würde, aber für ihn war sie höchstens ein Baby. Und bis die Braut aus Amerika hier eingetroffen war, hatte er so viele Mädchen! Fast jede Nacht, wenn sie aus ihrem Fenster spähte, das auf die Straße hinausging, sah sie seine Gestalt mit der irgendeines Mädchens zusammengeklebt – bis eben die Braut aus Amerika ankam. Am passendsten wäre es gewesen, er hätte Zohra geheiratet, ja, Nesja dachte, das wäre perfekt gewesen: beide im gleichen Alter, Nachbarn, sie müssten keinen Meter gehen. Aber mit Zohra sprach er nicht, schon gar nicht in der Nähe vom Haus. Denn wenn er beim Haus mit ihr geredet und seine oder Zohras Mutter

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