Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
böser Blick. Hat ein junges, hübsches Mädchen denn nichts Besseres zu tun?« In ihrem kleinen Notizbuch notierte Nesja bloß: »Frau Basch. hat Z. angeschrien, weil sie um fünf in der Früh gekommen ist. Z. hat gelacht.« Wenn sie verstanden hätte, was Zohra über die Maus und die Ziege gesagt hatte, hätte sie auch das aufgeschrieben, aber auch so würde sie sich daran erinnern, denn ebenso hatte sie nur hingeschrieben: »Z. – Silbernes Auto an der Ecke«, und erinnerte sich ganz genau, welches Auto sie damit meinte.
Nesjas Mutter hatte einmal zu Frau Josselson gesagt, dass die Jemeniten Familie und Kinder für noch wichtiger halten als die Marokkaner, und als Beispiel hatte sie die Familie Baschari angeführt; wie sie ihren Söhnen alles, aber auch alles gegeben hatten, auch in schweren Zeiten. »Sogar wo sie gar nichts hatten, den Kindern hat’s an nichts gefehlt, und es sind vier, keine zwei.« Davor hatte Frau Josselson, sehr laut, von dem hervorragenden Zeugnis ihres Sohnes erzählt und von ihrer Tochter, die im Innen ministerium befördert worden und jetzt für die Passabteilung verantwortlich war.
»Seit dem Jahre neunundvierzig kenn ich sie, noch bevor sie die Anbauten am Haus gemacht haben«, hatte ihre Mutter ge sagt, »als sie nur ein Zimmer und ein Klo auf dem Hof hatten und die zweite Haushälfte eine Ruine war, wo Tauben und Katzen wohnten, bevor es die Beneschs gekauft haben.«
»Gut, als die Beneschs hierher kamen, waren wir schon da«, meinte Frau Josselson, und der Anflug eines bösen Lächelns zuckte in ihrem Mundwinkel. Man sah ihr an, dass sie jetzt in allen Einzelheiten von dem Krieg zwischen den Beneschs und den Bascharis zu erzählen anfangen wollte, doch ihre Mutter ließ sie nicht dazu kommen, sondern fuhr fort: »Und besonders Zohra, die sie von Anfang an wie eine Prinzessin angezogen und ihr gegeben und gegeben haben ...«
»Ich bin gegen das Verwöhnen«, verkündete Frau Josselson und zog die Ränder ihres Flanellkittels, den sie über dem Blümchenkleid trug, enger zusammen. »Es wird ein schlimmes Ende nehmen«, versicherte sie ihrer Mutter dann, »Zohra ist schon verdorben.«
»Wie verdorben? Überhaupt nicht«, protestierte ihre Mutter, »sie ist schön, und sie hat ein gutes Herz, wunderbar ist sie, Zohra, und was für eine Stimme sie hat! Ich weiß es, denn sie arbeitet auch im Büro der Anwälte von Herrn Rosenstein, und er sagt, dass Zohra ...«
»Verdorben«, stellte Frau Josselson kategorisch fest, kniff ihre kleinen Augen vor der untergehenden Sonne zusammen und wischte mit dem Handrücken über ihr breites Gesicht, das glänzte, als sei es von einer Lage Fett überzogen. »Denken Sie daran, was ich gesagt habe«, sie wedelte mit dem Finger, »verwöhnen tut nicht gut. Für was die sich hält, diese Zohra, nicht einmal Schalom sagt sie, und im Laden, als ich sie gefragt habe, wie es ihrer Mutter geht? Hat sie den Kopf zu Seite gedreht, als ob ich Luft sei. Ich sage Ihnen, der steht es auf der Stirn geschrieben, dass sie schlechte Dinge denkt, wirklich der böse Blick, unberufen.« Sie schaute sich schnell um und flüsterte: »Der böse Blick gegen Aschkenasim, wissen Sie, dass Zohra Aschkenasim hasst?« Und in ihren Augen flackerte ein tückischer Blick in dem verwasche nen Blau auf. Wie ein Strahl traf Nesja dieses blässliche Blau, und sie krümmte sich, denn Frau Josselson sah aus, als würde sie gleich wieder mit ihrer Mutter über »eine neue Diät für das Mädel« reden und über Nesjas Haut, »sie wird bald Akne mit Eiter haben, wenn man nicht mit einer Diät aufpasst«.
Wäre nicht der Kuchen gewesen, den Frau Josselson jede Woche buk – Nesja wartete von einem Donnerstag zum nächs ten auf den Moment, in dem Frau Josselson sie mit ihrer schril len Stimme rief, die man bis in den Hof hörte: »Nu, Mädel, willst du Kuchen?« –, hätte sie schon längst einen Fluch über sie verhängt. Aber auf den goldgelben Kuchen und die süße Wärme, die ihren Mund erfüllte, auf die Creme mit Vanillegeschmack und die Rosinen, die sie darin fand, wie ein Schatz, konnte sie beim besten Willen nicht verzichten. Es war ein Wunder in ihren Augen, wie die feisten, hässlichen Finger von Frau Josselson mit dem ständig abblätternden roten Nagellack etwas so Märchenhaftes herstellen konnten und wie es möglich war, dass ihr säuerlicher Gesichtsausdruck und ihre kleinen, bösartigen Augen den vollkommenen Geschmack des Kuchens nicht kaputt machten. Ihre Mutter sagte,
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