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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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erzählte nie jemandem etwas, denn sie hatte begriffen, dass alles immer zu Ärger führte. Und überhaupt, sie liebte es, die Dinge, die sie wusste, für sich zu behalten. Sogar mit Peter, dem besten Freund ihres Bruders (abgesehen von Dschalal, der nicht wirklich zählte, weil er Araber war), sogar mit ihm, mit seiner lustigen Art zu reden, in diesem Englisch, das sie zur Hälfte nicht verstand, redete sie nur wenig und erzählte ihm im Grunde nichts von Bedeutung.
    Peter war der erste Mensch auf der Welt, der zu ihr gesagt hatte: »Wir sind Freunde.« Als ob es möglich gewesen wäre, dass ein alter Mann der Freund eines neuneinhalbjährigen Mädchens wäre – so alt war sie damals, vor einem Jahr –, und noch dazu eines dicken und hässlichen. Ihr Bruder Jigal liebte es nicht gerade, wenn sie zu ihnen kam – »Bist du wieder mal aufdringlich? Eine Klette ist das Mädchen«, sagte er immer –, aber Peter beharrte darauf, dass sie bleiben solle, und einmal nahm er sie sogar in seinem grünen Fiat mit, als sie noch kleiner war, vielleicht acht. Er hielt mit dem Wagen vor ihr an der Ecke Bethlehemer Landstraße und Jiftachstraße, öffnete ihr die Tür, als sei sie eine richtige Dame, als sähe er sie schon nach ihrer Verwandlung, und sagte: »Steigen Sie ein, steigen Sie ein, damit der Hund nicht krank wird vom Regen.« Mit seinem wenigen Hebräisch fragte er sie, ob sie jeden Tag mit dem Hund spazieren gehe, und danach sagte er auf Englisch, aber ganz langsam, damit sie es verstand, dass man ihr ansehe, dass sie ein wirklich gutes Mädchen sei und noch ein paar Sachen, die nach Komplimenten klangen, und wenn er sich nicht einschmeicheln wollte wegen Jigal, dann war er sehr klug und sah sie schon damals, wie sie in Wirklichkeit war.
    »Du bist ein sehendes Mädchen«, hatte Peter im Auto zu ihr gesagt, »du siehst viel.« Und Nesja hatte nicht gewusst, was er meinte. Als er vor ihrem Haus anhielt, sagte sie schnell: »Verzeihung, danke, Schalom« und rannte Rosi hinterher, die sie schon hinauszerrte. Was dachte er, dass sie sah? Was hatte sie denn ge sagt, ohne es zu merken? Wenn er Sachen über sie wusste, wusste er vielleicht auch, dass sie Sachen nahm? Man musste aufpassen, wenn man mit ihm redete, und nicht nur beim Reden. Es gab Dinge, die sie nicht preisgeben wollte, sterben würde sie, wenn man davon erfahren würde. Doch ja, auch wenn sie sich ande rerseits sehnlichst wünschte, dass man etwas von ihr wüsste. Aber nicht diese Dinge, sondern dass alle erkennen würden, wie sie in Wirklichkeit war.
    Nesja wusste einfach zu viel. Sogar von dieser blonden Frau, die in das zweite Haus an der Ecke kam an dem Morgen, an dem Frau Golan mit ihrer Mutter zu einer dieser Alte-Heimat-Touren nach Rumänien gefahren war. Nur Nesja hatte das Taxi vor dem Haus halten gesehen, und wie Dani Golan, den ihre Mutter für einen guten Menschen hielt, nachdem er ihr zwei Stöckchen Minze aus seiner Gärtnerei mitgebracht hatte, die Frau hereingelassen und alle Fensterläden zugemacht hatte, so wie Nesja es tat, wenn sie für sich allein im Zimmer ihre Schätze sichtete oder anprobierte.
    Und auch das wusste sie: wann Bezalel, der dritte Sohn der Familie Baschari, der ein wichtiger Offizier in der Armee war, auf Besuch nach Hause gekommen war. Donnerstags kam er immer, um die Festtagssuppe zu essen, die seine Mutter ihm kochte, und blieb manchmal bis Freitagnachmittag. Das Geschrei war dann im ganzen Haus zu hören. Herr Baschari, der auf der Straße wie ein feiner Mensch erschien – er machte kleine Schritte und blickte immer nach unten, als suchte er etwas –, stritt mit seinem Sohn über Dinge, die Nesja nicht genau verstand, und nach jeder Auseinandersetzung stürzte Bezalel türenknallend davon, während seine Mutter ihm nachrannte und schrie, er solle bleiben. »Iss doch wenigstens noch was, iss doch wenigstens!«, rief sie seinem Rücken hinterher, während sich Bezalel mit großen schnellen Schritten entfernte, bis er um die Straßenecke verschwunden war.
    Das Wohnzimmer der Familie Baschari war von der Mauer ihres Wohnblocks aus zu sehen, aber die Fenster des Zimmers der vollkommenen Zohra gingen nach hinten hinaus, und manch mal, wenn Nesja mit Rosi am Abend vorbeikam – sie hatten eine spezielle Route um Zohras Haus herum –, konnte sie das Licht im Fenster erspähen. An den Winterabenden schimmerte es zwi schen den Ritzen des eisernen Ladens durch, und im Sommer war sogar Zohra selbst zu sehen, wie sie in den

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