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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Frau Josselson sei keine böse Frau, nur eine Klatsch base, vor der man sich in Acht nehmen müsse wie vorm Feuer und der man nichts, aber auch gar nichts erzählen dürfe. Ja, so gar wenn sie fragte, wie es Zion ginge und wie lange er noch in der Armee zu bleiben hätte oder ob Jigal schon eine Freundin hätte oder wann Peter aus Amerika käme (aus Australien sollte er kommen, aus Sydney, aber Nesja verbesserte sie nicht). Sogar nach der Schule erkundigte sie sich und nach ihren Noten. Trotzdem ging Nesja jeden Donnerstag am späten Nachmittag in den zweiten Stock hinauf und betrat die blitzblanke Wohnung, nachdem sie ihre Füße etliche Male auf dem Lumpen vor der Tür abgetreten hatte, saß in Frau Josselsons Küche und schwieg, während jene ihr großzügig von dem Kuchen abschnitt, und wenn sie den Mund voll hatte, natürlich auch, wobei Frau Josselson ihr gegenüber jeden ihrer Bissen verfolgte und sich vergewisserte, dass kein Krümel auf den Boden fiele. Sie hörte nicht einen Moment auf, sie nach der Arbeit ihrer Mutter und nach ihren Brüdern zu fragen, nach Frau Rosenstein, der Schule und was nicht noch alles. Unter ihr glänzten die Bodenplatten, die sie erneuert hatte, so wie ihre Mutter es machen wollte, »um ein bisschen Licht in den Augen zu haben statt diese finsteren grauen Platten« . Doch das war eines der Dinge, die sich Frau Josselson erlauben konnte, denn sie hatte einen Ehemann, der alles tun würde, was sie ihm sagte.
    Nicht nur dass Nesja jeden einzelnen Bewohner in der Straße kannte, sie wusste auch Sachen über sie, von denen keiner je auf die Idee gekommen wäre, dass sie sie wissen konnte. Auch so etwas hielt sie manchmal in ihren Berichten fest, aber in Geheimsprache oder mit Abkürzungen, die nur sie zu entschlüsseln wusste. Alle Bewohner in der Straße kannten den andauernden Konflikt zwischen den Familien der Bascharis und der Beneschs, die genau gegenüber dem Wohnblock von Nesja und ihrer Mutter wohnten. Vor dem Befreiungskrieg hatte in dem Zweifamilienhaus eine alte Araberin gewohnt, und einmal im Jahr, wenn sie zu Besuch kam, holte Frau Baschari einen Schemel und servierte ihr ein randvolles Glas Wasser, damit sie sie nicht wieder belästige. Alle wussten, dass Ne’ima Baschari nicht damit einverstanden war, dass die Familie Benesch ein zweites Stockwerk auf das Haus setzte, ebenso wie alle wussten, dass Frau Benesch nichts auf der Welt mehr wollte, denn sie hatte vor, dort eine kleine Wohnung für ihren Sohn zu bauen. Sie war sogar bereit, der Familie Baschari ihre Einwilligung abzukaufen und auch ihnen die Aufstockung zu erlauben. Und Herr Baschari, von dem ihre Mutter sagte, dass er ein guter Mann sei, der niemals die Nase hoch getragen hatte, auch nachdem er Direktor des gesamten Jerusalemer Co-op geworden war, war längst schon bereit nachzugeben und dort ein Zimmer für Zohra zu bauen, aber seine Frau wollte nicht.
    Alle verfolgten den wechselseitigen Schlagabtausch zwischen den beiden Familien – einmal wegen tröpfelnden Wassers vom Solarboiler der Bascharis, ein andermal wegen eines Stückchens Hof, das Frau Benesch den Bascharis wegnahm, um einen Steingrill dort zu bauen, und wieder ein anderes Mal wegen der Leute vom Kabelfernsehen, die ihren ganzen Dreck im Hof zurückließen. Am Abend von Rosch Haschana kamen alle aus den Häusern, als sie Geschrei hörten, und sahen gerade noch, wie Frau Beneschs Kopf von der Ohrfeige wackelte, die ihr Ne’ima Ba schari verpasst hatte, und wie Herr Benesch, der immer einen An zug trug, weil er ein wichtiger Buchprüfer war (Nesja verstand nicht, was das war – ein Buch konnte sie doch auch prüfen), mitten auf der Straße von seinem Handy aus die Polizei rief. Alle sahen ihn dabei, aber nur Nesja hatte einmal in der Nacht gesehen, wie Ne’ima Baschari der Familie Benesch einen Sack Müll vor die Tür kippte; alle hörten sie schreien und sahen, wie sie die Fäuste vor der Tür der Familie Benesch schüttelte, aber nur Nesja hatte früh am Morgen, während des Spaziergangs mit Rosi, gesehen, wie Frau Benesch den Rosenstrauch von Ne’ima Baschari abbrach, einen Moment nach rechts und nach links spähte, dann den Saum ihres Morgenmantels anhob und mit den Füßen die weißen Blüten des Jasmins zertrampelte.
    Und das allergrößte Geheimnis dieser beiden Familien wusste nur sie, Nesja, denn nur sie konnte alles sehen, nicht nur im Viertel, sondern auch außerhalb, weit weg von zu Hause. Nesja hatte es niemandem erzählt. Sie

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