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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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wollte«, oder »Frau Basch. ist am Abend mit dem Taxi heimgekommen und hatte kein Geld für den Fahrer«. Ab und zu notierte sie auch: »Eine tote weiße Katze mitten auf der Straße«, »Der Abfall ist nicht abgeholt worden«, oder »Heute sind sie von der Stadtverwaltung gekommen, um die Ratten zu vertreiben, die auf den Stromleitungen herumlaufen.« Die längste Notiz war die über Herrn Avital, der mit seinem neuen, silberfarbenen Wagen kam, um Zohra abzuholen, mit seiner Tochter hinten im Auto (nicht umsonst sagte Nissim vom Lebensmittelladen über sie: »Die Arme, Gott weiß, was aus ihr werden soll, sie ist schon dreizehn und wie eine Zweijährige«). Und wieso erinnerte sich Nesja daran? Nur dank des Berichts, den sie geschrieben hatte: »Die Tochter von Herrn A. ist für die Ferien vom Heim nach Hause gekommen, und Herr A. hat Z. mit ihr mit dem neuen Auto von zu Hause abgeholt.«
    Tag für Tag saß sie spätnachmittags auf der steinernen Eingrenzung des Häuserblocks und beobachtete, wie die Bewohner der Straße ein und aus gingen, wer am Hauseingang zu einem Schwatz stehen blieb, wer Plastikflaschen in den großen Lebensmittelladen oben an der Straße zurückbrachte und wer Abfall an den Gehsteigrand kippte (vorher spähten sie kurz nach rechts und nach links). Sie sah, wer sein Auto anließ, wer einparkte, wer volle Einkaufstüten vom Gemüsehändler oder Nissims Laden trug. Aufmerksam lauschte sie den Satzfetzen, die sie aufschnappte, und notierte auch sie: wer-wann-wo-zu-wem. Früher einmal, es war schon lang her, als sie noch klein war, ging sie auch immer in die Höfe, lauschte unter den Fenstern, und manchmal spähte sie sogar hinein. Ja, es war nicht so, dass sie kein Schamgefühl hatte, das hatte sie sehr wohl, aber sie wollte wissen, wie andere leben, denn von ihrer Mutter hatte sie bereits genug. Auch von sich selber hatte sie genug. Joram Benesch zum Beispiel – dessen Fenster auf den Hinterhof hinausging – oder Frau Benesch, Herr Baschari und, mehr als alle anderen, Zohra erregten ihre Neu gier, ja, sie wollte einfach herausfinden, was sie dermaßen vollkommen machte. Jetzt, wo Nesja schon zu groß war und Rosi überall dabei war, war es ein bisschen schwierig, in die Höfe hineinzugehen, aber manchmal nahm sie das Risiko in Kauf und tat es trotzdem, nicht immer, nur ganz hin und wieder. Und aus den Fenstern bekam man dann alle möglichen Sachen zu hören, wie zum Beispiel die Unterhaltungen und Streitereien zwischen Zohra und ihrer Mutter.
    Drei größere Brüder hatte Zohra, die einzige Tochter der Familie Baschari. Die ganze Straße wusste, wie sehr ihr Vater sie verwöhnte, aber nur Nesja, die in ihrem Hof unter dem Küchenfenster kauerte, hörte Frau Ne’ima, Zohras Mutter, sagen: »Ein junges Mädchen, das um fünf Uhr früh nach Hause kommt, weißt du, wie man so eine nennt? Eine Hure nennt man die, so nennt man sie. Wo warst du?« Und auch Zohras Prusten hörte Nesja, ihr erheitertes Gurgeln, als sie sagte: »Du lieber Himmel, Mama, ich bin schon zweiundzwanzig, nicht mehr euer kleines Mädchen, ich hab gestern bloß bei einer Hochzeit gesungen, das wusstest du doch, und du weißt auch, dass ...«
    »Nichts weiß ich«, unterbrach sie Frau Baschari, »gar nichts. Eine Hochzeit ist nicht um fünf in der Früh aus. Maximal um elf, zwölf, aber nicht um fünf. Du hast bloß Glück, dass dein Vater tief und fest schläft und nicht hört, wann du heimkommst.«
    Nesja war sehr erstaunt über Zohras Lachen, darüber, dass sie nicht erschrak oder mit ihrer Mutter beleidigt war. Nesja fühlte sich ja selbst beleidigt von dem Ton, in dem sie geredet hatte; Frau Baschari hatte zu ihrer Tochter, dem einzigen Mädchen, dass nach diesen ganzen Söhnen zustande gekommen war, die jüngste und schönste, nicht so wie mit einer Tochter geredet, sondern als ob sie sie hassen würde. Und als sich Nesja aufrichtete, um ins Fenster zu spähen, hörte sie Frau Baschari rufen, »Zohra Zohra!«, und sah, wie sie ihr mit der Fingerspitze dreimal auf die Wange schlug. »Unverschämt, das bist du, Zohra«, sagte sie zu ihr, doch Zohra lachte wieder und erwiderte: »Man nehme eine weibliche Maus und das Herz einer Ziege, lege sie in Wasser und beträufle damit das Haus, und die Schläge und der Streit in diesem Haus werden nicht mehr aufhören.« – »Tausendmal hab ich’s dir schon gesagt«, schrie ihre Mutter, »hör endlich auf, dich mit diesen Sachen abzugeben, du bist doch keine Primitive, Hexe rei und

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