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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Supermanbild mitgenommen hatte, und wie sie ihn auf die Polizei schleiften, war sie erschrocken und wagte es nicht mehr, irgendwo etwas zu nehmen. Sie langweilte sich schon fast, wenn sie wieder die Jeans mit dem weiten Schlag und den bestickten Seitennähten anprobierte, die immer noch nicht zugehen wollte.
    Nesja aß gar nicht viel, wirklich nicht, sie wusste nicht, wa rum sie so dick war. Die Hälfte von den Fleischbällchen ließ sie immer stehen, und auch die Suppe aß sie nicht auf, und alles in allem tauchte sie eigentlich nur ganz gerne das Brot in die Soße. Ein bisschen Soße, das war alles. Nicht mehr als ein paar Scheiben Brot. Wenn sie kein weißes Brot aß, hatte sie ein Gefühl der Leere im Bauch. So eine Art Loch, das ihr Schwindel verursachte, als würde sie gleich zusammenknicken wie eine Lumpenpuppe. Und auch Süßigkeiten liebte sie, doch ja, aber Süßigkeiten waren was Kleines, kein Essen. Außerdem gelang es ihr häufig gar nicht, etwas in den Korb zu stecken, den Nissim vom Lebensmittelladen anschrieb, weder Schokolade noch Waffeln noch sonst was, das sie im Bett vor dem Einschlafen hätte essen können. Ihre Mutter sagte, so sei das bei ihnen in der Familie – alle seien dick, die Menschen hätten eben ein Schicksal und das müsse man hinnehmen. Das war vom Himmel so bestimmt, und vielleicht war es auch mit den ganzen anderen Lebensumständen so: dass man in einer Wohnung im Erdgeschoss wohnen würde, in die die Sonne nur im Sommer, in der größten Hitze, hereinschien, und in der es im Winter finster und kalt war wie in einem Grab, man ständig das Licht anmachen und heizen musste; dass man nie in Urlaub oder ans Meer fahren könnte; und dass es bei ihnen in der Familie, von der Vaterseite her, Diabetes gab und mütterlicher seits Fettsucht und Krampfadern. Solche Dinge sagte ihre Mut ter öfter, wenn sie zusammen »Ruhelose Jugend« oder »Julias Rache« anschauten, denn zwischen den Erklärungen, was passierte und was passieren würde, pflegte sie über ihrer beider Schicksal zu sprechen. Nesja schwieg dann und heftete ihre Augen auf den Fernseher, und manchmal, wenn es ihre Mutter nicht merkte, legte sie die Hände über die Ohren, aber sie hörte es trotzdem. »Wenn sie wenigstens Zion von der Armee freigestellt hätten«, sagte ihre Mutter ein ums andere Mal, »er hätte ein bisschen mitverdienen können, ja und.« Und auch von Moschiko musste sie sich anhören, dass er ständig Schwierigkeiten mit den Polizisten hatte, und von Jigal, der nicht heiratete, obwohl er schon über dreißig war: keine Frau, keine Kinder, was Wunder, dass er die ganze Zeit schlecht gelaunt war. (»Außer wenn Peter kommt«, bemerkte Nesja, worauf ihre Mutter sagte: »Peter ist ein Freund, keine Familie.«) Diese Reden schloss ihre Mutter immer mit dem Ausspruch, es sei nichts zu machen, Söhne seien nun einmal keine Töchter, sie würden ihrer eigenen Wege gehen, und nur Töchter blieben bei ihrer Mutter. Danach seufzte ihre Mutter und sagte, so sei das, das sei ihr Schicksal, denn habe sie etwa jemals jemandem etwas Böses getan? Und trotzdem, dem Gerechten ergeht es schlecht und dem Bösewicht gut. Schon in der Bibel sei das so.
    In den Schulferien nahm ihre Mutter sie zu Frau Rosenstein mit, damit sie ihr beim Putzen half, und dort konnte Nesja hauchdünne rosa Glaskelche berühren, den glänzend glatten Bettüberwurf und den Marmorleoparden auf dem Büffet. Ihr Finger glitt über die kühle Glätte des gespannten Rückens und über den Goldrahmen mit dem Foto von Herrn Rosenstein, als er noch jung und schlank war, bekleidet mit einem dreiteiligen Anzug, einen Hut mit Band auf dem Kopf und sein Lächeln gekrönt von einem dünnen Schnurrbärtchen. Nur ein einziges Mal hatte Nesja ihn gesehen, und in Person sah er ganz und gar nicht aus wie auf dem Bild: Er war fett und klein und hatte überhaupt keinen Schnurrbart.
    Gegenüber diesem Foto hing das große Gemälde einer Frau in einem violetten Kleid und mit einem breitkrempigen Hut. Sie saß in einem grünen Samtsessel, ihren weißen Arm auf die Lehne gelegt, drei Goldringe mit roten Steinen an den molligen Fingern, und Frau Rosenstein erzählte ihr einmal, dass das ihre Großmutter war. »Dieses Porträt wenigstens haben wir von dort gerettet«, hatte Frau Rosenstein gesagt und Nesja, die nicht verstand, was ein Porträt war, von dem schönen Haus erzählt, in dem sie aufgewachsen war, von dem großen Garten, der bis zum Fluss hinunter reichte, und wie

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