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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Zurückgebliebene war, erwähnte sie nie). Als er um die Ecke verschwunden war und sich die beiden Lindas Haus näherten, sah sie Zohras großen Bruder vor dem braunen Tor stehen und sich nach allen Seiten umblicken. Rosi zog gewaltsam in seine Richtung, als hielte er einen saftigen Knochen oder ein Stück Wurst für sie in der Hand. Mit aller Kraft hielt sie die Leine kurz, wartete im Hof der Synagoge und beruhigte die Hündin mit Lauten und Streicheln, damit sie still wäre und er nicht mitkriegte, dass sie ihn dabei sahen, wie er in Lindas Haus ging, und das am Abend von Sukkot.
    Danach zog sie Rosi die Schimschonstraße hinauf zur Bethlehemer Landstraße, und sie spazierten ruhig zusammen die Straße entlang, passierten den Lebensmittelladen, der noch offen hatte, und das »Geschlossen«-Schild, das an der gläsernen Tür des Metzgers hing, der einen nie anschreiben ließ. Von dort musste sie Rosi mit aller Kraft wegzerren, bis die Gerüche verflogen waren, und dann ging sie wieder vor ihr her in Richtung des verwunschenen Hauses an der Ecke Bethlehemer Landstraße und Rakevetstraße. Jetzt war es wieder Rosi, die zog und zerrte, zum rückwärtigen Teil des Hauses hin bellte und den Birnbaum auf der Vorderseite völlig ignorierte, der im Hof orangerote Blätter bis nahe an den Zaun abgeworfen hatte. In der Mitte dort, schwarz und immer versperrt, war ein Tor, und auf dem Straßenstück davor stand jetzt ein Streifenwagen der Polizei.
    Ein Polizist lehnte daran, und nervöse Stimmen waren aus dem Funkgerät im Inneren zu hören. Was hatte die Polizei dort zu suchen? Wenn sie vor ihrem Block gestanden hätten, hätte sie es verstanden, aber hier? Als sie klein war, hatte ihr ihr Bruder Moschiko beigebracht, an Polizisten vorbeizugehen, als existierten sie nicht, sie nicht anzuschauen, weder schneller noch langsamer zu gehen, sich völlig normal zu verhalten. Als er noch zu Hause wohnte, bevor er in Schwierigkeiten geriet – es war nicht seine Schuld, sondern die der Junkies, mit denen er befreundet war –, erklärte er ihr, dass die Polizei einen immer schikanierte, dass sie es liebten, jemanden festzunehmen, wegen nichts. »Es reicht, dass sie die Art von jemandem nicht mögen, oder seine Freunde, mehr braucht es für sie nicht.« Und Freunde müsse man sich überhaupt mit Vorsicht aussuchen – so sagte er zu Nesja –, denn Freunde könnten einen, ohne auch nur nachzudenken, fallen lassen: Nur ihr eigener Arsch interessiere sie dann.
    Aber Nesja hatte sowieso keine Freunde. Niemand hatte sie jemals zum Übernachten aufgefordert, und auch sie lud nie jemanden zu sich nach Hause ein. Ihre Mutter schlief in dem halben Zimmer neben dem Wohnzimmer, und bei Nesja nahmen der Tisch, das Bett und der Wandschrank das ganze Zimmer ein. Die Wohnungen anderer Kinder sah sie nur bei Festen von Schulkameraden am Wochenende, und auch nur, wenn alle eingeladen waren, aber sie war nie unter denen, die bis zum Ende blieben. Die Mädchen rümpften die Nase, wenn sie sie sahen, und die Jun gen sahen sie überhaupt nicht. Und auch in den Turnstunden bei den Übungen hatte sie nie einen Partner oder eine Partnerin, bis die Lehrerin eingriff und jemanden abkommandierte. Und bei den Turnübungen selber war sie immer zu langsam oder verdarb alles oder verbreitete einfach schlechten Geruch – sie selber emp fand nicht, dass er schlecht war, aber sie sah, wie sie von ihr ab rückten, durch den Mund atmeten oder sich die Hand vor die Nase hielten.
    Und ohnehin wusste sie – doch ja, das wusste sie einfach –, dass sie nur von außen so aussah. Während sie drinnen, ganz im tiefsten Inneren, in ihrem geheimen Leben, schön, groß und schlank war, doch ja, und ihr Körper würde eines Tages noch wie der von der vollkommenen Zohra aussehen. Denn sie, Zohra, war eine Nachzüglerin wie sie, und auch sie hatte drei große Brüder; und Nesjas Mutter arbeitete bei der Familie Rosenstein im Haus, und Zohra arbeitete bei Herrn Rosenstein im Büro, wer sah da nicht, dass das Zeichen für ein gemeinsames Schicksal waren, und Schicksal war Schicksal, wie ihre Mutter sagte, niemand würde ändern, was in den Sternen geschrieben stand. Nur dem äußeren Betrachter, den gewöhnlichen Menschen, die immer irgendwohin eilten, erschienen ihre Augen klein und ausdruckslos, die Brauen stark und zusammengewachsen und ihre Nase ge schwollen und rötlich (»Gerade das musstest du von deinem Vater erben? Die Nase?«). Aber unter all dem verbarg sich, wie in den

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