Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
gerade von ihrer Passivität.
»Hätte ich dich finden und aus deinem Dornröschenschlaf, was mich anging, wecken müssen, oder was?«, fragte er.
»Das war kein Dornröschenschlaf«, entgegnete Ada halb beleidigt, »ich habe nur darauf reagiert, dass mir vermittelt wurde, dass du nicht mich im Kopf hattest. Es gab keine andere Botschaft.«
Michael zündete sich eine Zigarette an und stellte den Porzellanaschenbecher auf die Decke über seinen Knien. »Das heißt – es ist die Aufgabe des Mannes, den Anfang zu machen, zu verfolgen, zu überzeugen, zu umwerben und das alles?«
»Natürlich ist das die Aufgabe des Mannes, was denn sonst?« Ada schaute ihn mit provozierendem Blick an. Im Augenblick wusste er nicht, ob sie im Ernst sprach oder sich mit einem Spielchen amüsierte. Das matte Licht warf gelbliche Schatten in ihren Augen, als sie mit sichtlicher Erregung heraussprudelte: »Was hättest du denn gewollt? Dass ich dir nachrenne? Du hast es ja gar nicht noch mal versucht nach dem Sommercamp. Jeden Abend im Sommerlager, eine ganze Woche lang, und danach – nichts. Gar nichts mehr.«
Obwohl sich Michael nicht entsinnen konnte, dass es »jeden Abend« stattgefunden hatte, wollte er die Diskussion nicht da rauf bringen. Stattdessen erinnerte er sich daran, wie er nach ihr gefragt hatte, als sie Anfang der Zwölften in die Schule zurückkehrten, und erfuhr, dass sie das Internat verlassen hatte. »Du warst damals nicht mehr da«, verteidigte er sich, »danach warst du doch nicht mehr da ...« Plötzlich kam ihm die Frage in den Sinn, die sie ihm bei ihren vorangegangenen Treffen nicht beantwortet hatte: »Warum hast du die Schule verlassen?«
Ada senkte den Blick. »Mein Vater lag damals im Sterben«, sagte sie schnell, als fiele es ihr schwer, darüber zu reden, »meine Mutter brauchte ... sie kam nicht allein zurecht, ich musste ... ich habe das Abitur später nachgeholt, bevor ... bevor ich geheiratet habe und bevor wir nach Peru gereist sind, aber warum hast du mich nicht gesucht?«
»Ich dachte, dass du einen Freund hättest und nicht an mir interessiert wärst«, wiederholte er, da er das Gefühl hatte, dass das wirklich das Thema war, über das sie reden wollte, und wenn er sich darauf einließe, würde er auch andere Dinge begreifen.
Ada schlug mit den Händen auf die Steppdecke, und er berührte ihren Arm, um sie zu beruhigen, doch sie sagte mit unverminderter Heftigkeit: »Wer hat dir das gesagt? Nur auf Grund von Gerüchten? Ich habe dir kein Wort von ihm gesagt, und vielleicht hätte ich ihn auch wegen dir verlassen, wenn du mich nur gesucht hättest. Es ist ganz einfach – du hast mich nicht geliebt und wolltest dich nicht bemühen.«
Michael lachte lautlos in sich hinein. Dieses Gespräch, das sich im Kreis drehte und sich ständig in den Schwanz biss, belustigte ihn, doch in seiner Tiefe lauerte ein großer Ernst. »Und du?«, forderte er sie heraus, »wenn du so sehr wolltest, warum hast du mich dann nicht gesucht?«
Vorwurfsvoll wie ein kleines Mädchen, das jemandem die Spielregeln ins Gedächtnis ruft, die jener ignoriert hat, sagte Ada: »Das läuft so nicht, ich bin das Mädchen, oder? Der Junge muss überall in der Welt herumrennen, bis er das Mädchen findet, oder?«
Jetzt antwortete er ihr vollkommen ernsthaft, wie zur Ord nung gerufen: »Ich verstehe das nicht, ich verstehe einfach nicht, wie eine unabhängige Frau, eine Frau, die sich jahrelang um einen kranken Ehemann und alle Hausangelegenheiten gekümmert hat, eine Frau, die fast allein zwei prachtvolle Kinder großgezogen hat, die sich in beruflicher Hinsicht selbst verwirklicht hat, wie sie ...« Er seufzte.
Sie legte eine Hand an seine Wange. »Ist es hart für dich?«, lachte sie.
»Ich frage mich«, überlegte er laut, »ob das ein Resultat der Erziehung von zu Hause ist oder der Hollywoodfilme mit all diesen Humphrey Bogarts. Schauen die Frauen mit hohen Absätzen und Nahtstrümpfen mit dem gewissen Blick an, bevor sie den Hut beiseite werfen und über sie herfallen. Um sie im seidenen Wäscheset zu sehen.«
»Satin«, korrigierte sie.
»Was Satin?«
»Die Unterwäsche. Solche Dinge weiß ich schließlich.«
»Jedenfalls schwarz.«
»Von mir aus schwarz. Kann aber auch rosa sein.«
Er wollte es wirklich endlich verstehen, ein für allemal – und von Ada, schien ihm, könnte er eine echte Antwort erhalten –, auf welcher Grundlage diese Spielregeln standen, die ihm im Laufe seines Lebens so oft von Frauen
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