Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel
nichts mehr zu hören und auf einmal ertönte der Gesang einer Frau, mit einer reinen, wirklich glasklaren Stimme, die ihr Gänsehaut verursachte. Wenn sie ein Lied von Mercedes Sosa hörte, wurde ihr heiß und kalt und ein Zittern durchlief sie. Auch jetzt erschauerte sie. Aber das war nicht Mercedes Sosa, das hier war in einer anderen, unbekannten Sprache, eine eigenartige, traurige Melodie, wie eine Klage. Natascha wich von der Tür zurück und setzte sich an Avivas Schreibtisch, zum Glück, denn kaum saß sie und nahm den Telefonhörer ab, stand Niva im Eingang, schwenkte ein Papier und sagte, ohne wirklich hinzusehen: »Aviva, da ist ein Fax bei uns angekommen, und Zadik muss das sehen.« Dann erst richtete sie ihren Blick ins Zimmer hinein. »Ah, Natascha«, bemerkte sie enttäuscht, »wo ist Aviva?« Und fuhr ohne Pause fort: »Aufs Klo gegangen? Sag ihr, dass ich sie suche.« Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich jedoch noch einmal um und fügte hinzu: »Ich hab’s komplett vergessen, Chefez sucht dich, schon ein paar Mal heute früh … warum reagierst du nicht auf den Beeper?« Natascha gelang es nicht zu antworten, denn Niva rannte schon wieder weiter, nur noch das Klappern ihrer massiven Pantinen im Gang war zu hören und dann noch, wie sie schrie: »Benisri, Benisri, wo gehst du hin? Dani Benisri, du gehst hier nicht weg ohne ein Wort mit Chefez, er wartet auf dich!«
Natascha war nicht auf der Suche nach einem leichten Leben, sie war bereit zu arbeiten, wirklich, und erstklassigen Journalismus zu liefern. Wie Dani Benisri. Wunderbar, was er gemacht hatte. War in den Tunnel hineingegangen, zu den entlassenen Streikenden, ohne jede Angst. So machte man ordentliche journalistische Arbeit. Aber man hatte ihn das tun lassen. Er hatte nicht kämpfen und irgendjemand überzeugen müssen. Auch sie hatte keine Angst. Um ihre Arbeit zu machen, war sie bereit, eine Menge zu riskieren. Eine ganze Menge. Als ob sie vielleicht nicht wüsste, wie gefährlich es war, sich mit diesen Orthodoxen zu befassen. Und besonders die mit den schwarzen Käppchen. Sie wusste es. Aber sie hatte nicht vor, still sitzen zu bleiben und zu warten, bis man geneigt wäre, sie machen zu lassen. Es konnte nicht sein, dass ein Mädchen wie sie bei der einzigen Gelegenheit, die sie je haben würde, das nicht lösen könnte. Sie hatte sich schließlich auch schon in viel aussichtsloseren Situationen als dieser zu helfen gewusst. War denn nicht sie, eine Frau allein, in das Flugzeug gestiegen, das mitten im Golfkrieg am Tag der Raketenbeschießung landete, als es eigentlich keine Plätze im Flugzeug gab? War sie es nicht gewesen, die als Reporterin angefangen hatte, zu einer Zeit, in der überhaupt kein Personaletat da war? Stimmt, man hatte ihr nicht einmal die Bezahlung einer Rechercheurin zugestanden, freelance – ohne jeden Anspruch, nach Stunden –, aber nicht jede konnte auch nur so weit kommen. Und nicht wegen Chefez, das hatte sie ganz allein geschafft. Wenn ihr überhaupt jemand geholfen hatte – dann war es Schraiber. Chefez war erst danach gekommen und hatte ihr überhaupt nichts genützt, nur geschadet, wegen des Neids. Dabei konnte man sich fragen, was es an ihr schon zu beneiden gab, was bitte? Sie hätte ganz gern gewusst, wo sie es denn so gut hatte; wenn man es ihr sagen würde, vielleicht würde auch sie dann denken, dass sie Glück hatte. Nichts gab es an ihr zu beneiden; flüchtiger Sex in seinem Büro spät nachts, und ständig die Anrufe von seiner Frau, die ihn ununterbrochen suchte. Nahm er sie irgendwohin mit? Gab er ihr etwas? Nichts hatte er ihr gegeben, nicht einmal eine Unterstützung für die Miete; in ein gutes Restaurant zum Essen hatte er sie auch nie mitgenommen, aus Angst, man könnte ihn mit ihr sehen; nicht mal Parfüm. Keine einzige Blume. Nichts zum Geburtstag. Gar nichts. Sie wollte nicht sagen, dass er ein Geizhals war, denn manchmal hatte sie gesehen, wie er aus eigener Tasche für ein Essen zahlte, nicht mit ihr, mit anderen Leuten, aber bei ihr … sie wusste schon gar nichts mehr; denn so viel war sicher, für sie gab er nichts aus. Keinen Schekel. Und jetzt – war es nicht sie, die es fertig gebracht hatte, die geheime Adresse der Wohnung zu beschaffen, in der sich Rabbiner Alcharizi mit diesem Rechtsanwalt traf, von dem gemunkelt wurde, dass er der engste Vertraute des Regierungschefs sei? Und war es nicht ihr allein gelungen, ihn in der Verkleidung eines griechisch-orthodoxen Priesters mit
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