Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel
beeindruckend«, Michael zögerte. »Ich stelle mir vor, dass … von welcher Summe ist hier die Rede?«
»Alles in allem von noch etwa fünfzigtausend Dollar«, wiederholte Mejuchas und fuhr in mechanischem Ton fort: »Wegen einer solchen Summe wollen sie die größte Produktion einstellen lassen, die sie in den letzten Jahren hatten. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr, nichts spielt noch irgendeine Rolle.«
Das Mädchen setzte an, wie um zu protestieren, besann sich jedoch hastig eines Besseren und senkte den Kopf, als kenne es seinen Platz. »Am Ende wird es einen Etat dafür geben«, sagte sie mit halbherziger Stimme zu Michael, »am Ende …«
»Sara hat mir gesagt«, wandte sich Michael an Benni Mejuchas, »dass Sie den Mitwirkenden vor den Dreharbeiten die Bedeutung von ›Ido und Einam‹ in Ihren Augen erklärt haben, doch es ist ihr nicht gelungen, es genau wiederzugeben. Vielleicht wären Sie bereit, mir zu sagen, was …«
»Jetzt?«, rief Benni Mejuchas mit befremdetem Erstaunen. »Jetzt bin ich nicht … und überhaupt, wo ist der Zusammenhang?«
Michael blickte ihn erwartend an, ohne eine Antwort auf die Frage zu geben.
»Sehen Sie«, sagte Benni Mejuchas und heftete seinen Blick auf die Wand hinter dem Bildschirm, als läse er dort eine schriftliche Rede ab, »ich habe herausgefunden, dass diese Geschichte, ›Ido und Einam‹, nicht, wie es zunächst scheint, über antike jüdische Schriften und über den Stamm Gad ist, der nicht aus dem babylonischen Exil zurückkehrte. Ich habe entdeckt, dass es eine Geschichte über die orientalischen Juden in Israel ist und darüber, was der Zionismus dem orientalischen Judentum angetan hat. Der Orient ist Gemula, die ein Lied zum Mond singt, der Zionismus ist derjenige, der sie, bestenfalls, als ein folkloristisches Fundstück behandelt, und der Westen ist der, der versucht, die Grammatik zu finden … Grammatik, verstehen Sie? Versucht, in diesen Liedern, die eigentlich die Erfindung eines Vaters und seiner Tochter sind, die Grammatik zu finden. Und wissen Sie, was schön daran ist?«
Michael schüttelte mit erwartungsvollem Blick den Kopf.
»Was so schön bei Agnon ist, ist, dass er das, was sich verschiedene ethnische Ursprungsgemeinden nennt, wirklich liebt, und was noch schöner ist bei ihm, er denkt nicht, dass sie vollkommen sind …«
»Wer?«, fragte Michael. »Von wem denkt er, dass sie nicht vollkommen sind?«
»Von den orientalischen Juden, er denkt, dass auch sie einem Prozess von Degeneration und Niedergang unterworfen wurden. Diese Geschichte ist in Wahrheit eine Tragödie, und sie berührt das Mysterium, wenn Sie den Ausdruck verzeihen, unseres Lebens hierzulande. In meinen Augen ist das die schönste und die traurigste Geschichte über den Zionismus, und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass Agnon ein Gigant ist, vielleicht wie Shakespeare, und für …«
Michael wollte eigentlich darauf reagieren. Die Dinge, die Benni Mejuchas über Agnon und seine Einstellung zum orientalischen Judentum gesagt hatte, hatten ihn unvorbereitet getroffen. Sie waren weit entfernt von dem traurigen Eindruck, den die Vorlesungen des Literaturdozenten in ihm hinterlassen hatten, die er vor zwanzig Jahren an der Universität gehört hatte. Bennis Worte und die Art, wie sie sich zu den sensiblen Bildern verwoben, die zuvor auf dem Bildschirm präsentiert wurden, waren von so viel Emotion durchdrungen, tiefem Kummer und vor allem – einer Art der Aufrichtigkeit, die er nirgendwo erwartet hätte, und prinzipiell schon gar nicht in Zusammenhang mit irgendeiner Fernsehproduktion.
Ein Pfeifen aus Michaels Beeper schnitt Bennis Worte ab. Er verstummte und blickte sich verstört um. Michael wartete einen Moment, doch er begriff, dass Benni Mejuchas seine Worte nicht wieder aufnehmen würde. Michael spähte auf das Display und fragte, ob er das Telefon benutzen könne. Benni Mejuchas nickte geistesabwesend, drückte auf die Fernbedienung, und der Bildschirm wurde dunkel. Eli Bachars Stimme erklang gedämpft vor dem Hintergrund von Fernsehmeldungen, die besagten, dass die entlassenen Arbeiter der »Cholit«-Fabrik verhaftet worden seien und einen Prozess zu erwarten hätten. Michael hörte Eli Bachar zu und sagte dann: »Ich fahre jetzt dorthin, um als Erstes mit Zadik zu sprechen.«
»Ist etwas passiert?«, fragte das Mädchen.
»Ja«, erwiderte Michael und blickte Benni Mejuchas an, der das Videogerät gerade ganz ausschaltete, »Matti Cohen ist vor einer
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