Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel
Krankenhausbüros gesehen, hatte eine Frage gehört und ihnen die Tür vor der Nase zugeknallt, und so war ein gewisser Spielraum an genehmigter Zeit übrig geblieben, der es Schraiber ermöglichte, den Sendewagen zu benutzen.
»Dort«, sagte Natascha aufgeregt, »das zweite Haus von hier ab, siehst du? Da, wo das Steinmäuerchen ist und das Schild über Wohltätigkeitsspenden.« Während der ganzen Fahrt hatte sie einen Kloß im Hals gehabt; was, wenn Schraiber es plötzlich bereute, oder was, wenn er gerufen würde? Sicher, sein Mobiltelefon hatte er ausgeschaltet, aber man konnte ihn über den Beeper kontaktieren … Schraiber hatte zwar versucht, sie zu beruhigen, und ihr gesagt, er habe ausdrücklich verkündet, er gehe jetzt schlafen und würde auch den Beeper ausschalten, aber … für einen Moment konnte sie sich der Furcht nicht erwehren, dass er genug hätte, dass er plötzlich sagen würde: »Schluss, mir reicht’s«, sie noch bis vor die Haustür fahren und dann schleunigst verschwinden würde. Nach alldem – was hätte er denn davon? Allein der Gedanke an diese Möglichkeit pumpte die Säure der Panik aus der Tiefe ihres Bauchs herauf. Wie kam es, dass niemand dachte, sie könnte etwas Wichtiges liefern, dass ihre Arbeit wirklich ernsthaft war … Wie kam es, dass sie ständig nur um Gefallen bitten musste, um überhaupt … Warum dachten sie, dass sie nichts zu sagen hätte … Um diese Gedanken abzustellen, schaute sie auf die Uhr. Sie hatte noch zwei Stunden, danach musste sie am Migrasch Harussim erscheinen. Der Polizist mit den grünen Augen hatte »Verhör« zu ihr gesagt, aber der zweite, der größere mit dem schmalen, dunklen Gesicht und den dicken Augenbrauen – der die ganze Zeit eine unangezündete Zigarette zwischen den Fingern hielt und mit der Hand zurückfuhr, wenn jemand versuchte, ihm Feuer zu geben, und freundlich entschuldigend »nicht jetzt« sagte, »ich versuche zu reduzieren« –, hatte den Ausdruck »Verhör« in »Gespräch« verbessert. Und als Natascha ihn gefragt hatte, ob sie dort hinkommen müsse, lächelte er sie an, als sei sie ein kleines Mädchen, und sagte, sie habe wohl zu viele Polizeifilme im Fernsehen gesehen; natürlich »müsse« sie nicht – er betonte das Wort, was sie ein wenig beschämte –, aber weshalb sollte sie nicht bereit sein, ihnen bei der Aufklärung von Tirza Rubins Todesumständen behilflich zu sein? Und er sei sicher, dass sie auch in der Sache Matti Cohen gerne helfen würde. Er neigte den Kopf zur Seite, betrachtete sie eingehend und bemerkte, dass sie jeden, der im Zwirnbau oder im Hauptgebäude gewesen sei, vorgeladen hätten, und alle kämen freiwillig. Warum sollte sie nicht bereit sein zu kommen, hatte er gefragt und ihr mit diesem Blick in die Augen gesehen, den sie schon vorher wahrgenommen hatte; ein dunkler, trauriger Blick, sehr klug, aber traurig.
Die leicht hängenden Augenlider sind es, die ihn traurig aussehen lassen, dachte sie jetzt und bemerkte, dass Schraiber in den Seitenspiegel spähte. Wenn man in seine Augen blickte, sah man, dass er klug war, aber auch, dass eine Art Kraft in ihm steckte … oder vielleicht nicht Kraft, eher Stärke. Er blickte in ihre Augen, als studiere er sie. Wie in einem Science-Fiction-Film, den sie einmal gesehen hatte, in dem die eine Person die andere anblickte, und plötzlich liefen vor ihren Augen, mit ungeheurer Geschwindigkeit, alle inneren Szenerien des Gegenübers ab. Dabei begriff sie gar nicht, was er von ihr hätte, weshalb er mit ihr reden wollte und was er sich erhoffte. Vielleicht war das alles wegen Chefez, der ihr einen beschwörenden Blick aus der Zimmerecke zugeworfen hatte, während sie mit den beiden Polizisten redete. Alle sahen, wie er sie anschaute. Aber andererseits sah Chefez sie die ganze Zeit so an, oder wenigstens in den letzten Tagen, seit sie ihm gesagt hatte, dass es aus war. Sie – ihr fiel der Abschied von Chefez nicht schwer. Anscheinend hatte sie es wirklich satt, diese ganzen Komplikationen, seine Aalglätte und die Ängste vor seiner Frau. »Endlich«, hatte Schraiber zu ihr gesagt, als er den Wagen startete. Er hatte nach Chefez gefragt, und sie hatte die Achseln gezuckt und mit demonstrativer Kühle zurückgegeben: »Wer bitte ist Chefez?« Schraiber hatte gelacht und gesagt: »Endlich, Gott sei Dank fängst du an, ein Mensch zu sein und zu denken, dass du etwas wert bist oder was verdienst.«
Dem Polizisten jedenfalls hatte sie gesagt, dass sie jetzt
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