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October Daye - McGuire, S: October Daye

October Daye - McGuire, S: October Daye

Titel: October Daye - McGuire, S: October Daye Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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vorsichtig dort. Geh nicht allein in die Dunkelheit. Lass dich von ihren Augen nicht täuschen. Vergiss nicht, wonach du suchst. Vertrau nicht darauf, was das Blut dir sagt. Schau immer zurück.«
    »Was?«
    »Nichts, Tob y – gar nichts«, sagte sie, es klang leicht angewidert. »Und jetzt verzieh dich endlich aus meiner Leitung.«
    »Wir sehen uns, wenn ich zurück bin.«
    »Ac h – Toby?« Ihr Tonfall wirkte beinahe zögerlich. Das hatte ich noch nie erlebt.
    »Ja?«
    »Ich schulde dir noch eine Antwort. Komm lebendig wieder.«
    »Klar, keine Sorge.«
    »Ich allein habe das Recht, dich umzubringen.« Jäh brach die Verbindung ab. Grinsend legte ich den Hörer auf die Gabel.
    Die Luidaeg und ich waren einander vor sechs Monaten begegnet, als sie mir einen entscheidenden Hinweis auf die Identität des Mörders von Evening lieferte. Seit diesem ersten Zusammentreffen hatte ich etwas gut bei ih r – sie schuldete mir nämlich die Antwort auf eine Frage meiner Wahl. Solange sie mir etwas schuldete, konnte sie mich nicht töten, und ich musste zugeben, es war irgendwie beruhigend zu wissen, dass sie ihre Drohungen nicht wahr machen konnte. Unbeglichene Schulden lasten schwer auf Reinblütlern; bei Erstgeborenen muss es ohne Frage noch schlimmer sein. Nach unserer ersten Begegnung begann sie mich anzurufe n – Geheimnummern bedeuten nicht viel für jemanden, der im Telefon ein putziges Zeitgeist-Spielzeug sieht, das sich nicht lange halten wird. Sie verlangte Rechenschaft darüber, wann ich ihre Schuld einzutreiben gedachte, damit sie mich endlich umbringen konnte. Das waren nun nicht gerade die besten Gespräche meines Lebens, aber sie hatten etwas Verlässliches, und nach einiger Zeit wurden sie mir regelrecht lieb. Es war gut, jemanden zu haben, mit dem ich reden konnte.
    Es dauerte lange, bis ich wirklich begriff, wie einsam sie war. Es fällt schwer, sich die Luidaeg als einsam vorzustelle n – sie ist älter als alle Nationen und hat mit angesehen, wie Imperien untergingen. Dennoch ist sie es. Die Leute fürchten sich vor ihr; sie meiden die Orte, an denen sie sich herumtreibt, warnen ihre Kinder vor ihr und sprechen ihren Namen nur im Flüsterton, wenn die Lichter gedämpft sind. Wie könnte sie nicht einsam sein? Mich persönlich wundert viel mehr, dass sie noch nicht völlig wahnsinnig ist.
    Ich fing an, sie zu besuchen, als mir klar wurde, weshalb sie immer wieder anrief. Wir spielten Schach, wanderten die Docks entlang, fütterten die Möwen und unterhielten uns. Sie hatte viel zu erzähle n – es war lange her, seit ihr zuletzt jemand zugehört hatte. Also tat ich es, und jeder Besuch endete mit demselben Wortwechsel:
    »Fragst du mich jetzt?«
    »Nein.«
    »Ich werde dich töten, wenn du es tust.«
    »Ich weiß.«
    Dann ging ich nach Hause, sie tat dasselbe, und für ein Weilchen fühlten wir uns beide nicht mehr einsam. Ich suche mir meine Freunde, wo ich sie finden kann.
    Da ich nun alle Anrufe erledigt hatte, brauchte ich nur noch meine Waffen einzupacken. Ich zog meinen neuen Aluminium-Baseballschläger unter dem Bett hervor und löste das Preisschild vom Griff, bevor ich ihn neben die Reisetasche warf. Dann wandte ich mich meiner Kommode zu, öffnete die oberste Schublade und grub mich durch die zusammengerollten Socken und zerknitterten Nachthemden, bis ich auf eine schwarze, mit einem goldenen Band verschnürte Samtschatulle stieß. Die steckte ich in die Reisetasche. Sie war das Letzte, was ich brauchte. Sie war alles, was ich hatte.
    Es hatte einmal ein Mädchen gegeben, das in mir eine Heldin sa h – oder vielleicht redete sie sich auch nur ein, ich sei ihre Heldin. Letzten Endes machte das keinen Unterschied, ich konnte sie nicht schützen, und sie starb. Vielleicht trug das Messer, das sie mir hinterlassen hatte, etwas zu meinem Schutz bei. Dare war ein gutes Kind. Ich wollte sie nicht im Stich lassen. Und vielleicht war es ja möglich, wenn ich sie in gewisser Weise bei mir behielt, dass ich eines Tages doch noch irgendjemandes Heldin wurde.
    Ich warf mir die Reisetasche über die Schulter, packte den Baseballschläger und strebte zur Tür. Vielleicht hatte ich Dare im Stich gelassen, vielleicht auch nicht. Eines aber stand fest: Quentin würde ich nicht im Stich lassen, und ganz bestimmt würde ich Sylvester nicht enttäuschen. Nicht diesmal, nie wieder. An der Tür blieb ich kurz stehen, krümmte die Finger in der Luft, summte und wob mir eine schnelle, aber passable menschliche

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