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October Daye: Nachtmahr (German Edition)

October Daye: Nachtmahr (German Edition)

Titel: October Daye: Nachtmahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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Wahnsinniger.
    Ich hatte nicht viel Macht über meinen Körper, aber es mochte gerade reichen, um mich vom Pferd fallen zu lassen. Wenn ich schwer genug stürzte, würden sie mich hierlassen müssen, und dann blieb mir Zeit bis zum nächsten Ritt, um zu fliehen. Ich spannte mich an, machte mich bereit zu fallen – und ein vorbeikommender Reiter legte mir die Hand auf den Rücken und trieb mich vorwärts. Es war zu spät. Meine Chance zur Flucht war vertan, verloschen wie meine Kerze. Das Spiel war aus.
    Die Jagd bahnte sich ihren Weg in die Dunkelheit. Um uns herum blitzte hier und da die Umgebung auf wie verrückte Christbaumlichter. Wir ritten nicht an einem wirklichen Ort. Wir bewegten uns zwischen der menschlichen Welt und den Sommerlanden, und gelegentlich brachen wir aus der Dunkelheit ins Helle und streiften Orte, die ich kannte. Die Docks blitzten kurz auf, mit Neon und Touristenströmen und ihrem Salzgeruch. Ein spinnwebverhangener Wald voller beweglicher Faerie-Lichter. Das Castro mit ohrenbetäubender Tanzmusik und schwitzenden Menschenmassen. Die Szenen wechselten rasch und vergingen wieder, ehe Zeit blieb, sie auseinanderzusortieren.
    Meine geteilte Sicht verstärkte die Eigentümlichkeit der Umgebung, die fremden Perspektiven erzeugten ein Gefühl, als betrachtete ich die Welt durch ein Prisma. Die einzelnen Sichtweisen verschmolzen miteinander, während wir ritten, und machten die ganze Welt zu etwas Tieferem und Wilderem, als ich es je zuvor gesehen hatte. Es kam mir noch nicht ganz natürlich vor, doch ich wusste, das würde es, wenn der Ritt vorüber war und Blind Michael mich zur Braut nahm. Oberon, hilf.
    Wir näherten uns allmählich dem Ende unserer Route, ich konnte es in der Luft spüren, und jeder Schritt brachte mich dichter an den Moment, wo ich Sein werden würde. Wenn ich doch schon verloren war, warum fürchtete ich mich dann noch so?
    Wir flackerten wieder hinüber in die sterbliche Welt und jagten eine Straße entlang, die ich gut kannte: Dies war der Hauptweg durch den Golden Gate Park, gesäumt von schmalen Joggerpfaden und wildem Gestrüpp. Pixies flimmerten vorüber, kleine Lichtpunkte, die es nicht schafften, die Dunkelheit zu durchbrechen. Noch nie hatte ich eine Nacht wie diese erblickt. Sie war zu unwirklich und skizzenhaft für die menschliche Welt, aber zu greifbar und bitter für Faerie. Noch nie hatte ich so eine Nacht gesehen … aber ich war auch noch nie zuvor mit einem verrückten Erstgeborenen geritten. Dies war Blind Michaels Welt.
    Die Luft wurde schwer und trübe, als wir den Weg entlangdonnerten, und wir wurden langsamer. Ich wappnete mich und wartete darauf, dass die Dunkelheit wiederkam. Wir hatten mehr als die Hälfte der Bay Area durchritten, wir mussten mit unserer Strecke fast fertig sein, und am Schluss würde unser Abstieg in die Nacht kommen.
    Die vordersten Reiter hatten beinahe die Wegkreuzung erreicht, da erstrahlte vor uns plötzlich ein weißes Licht, das sich bis hoch über die Wipfel der nachtdunklen Bäume erstreckte und einen blendenden Kegel mitten auf den Weg warf. Blind Michaels Ross scheute entsetzt zurück und stieg. »Halt!«, brüllte er, und die ganze Jagd kam holpernd zum Stehen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich Katie anhalten sollte, und so tat sie es von allein, dabei stolperte sie fast über ihre eigenen Hufe, die Augen riesig und voller Angst. Ich hätte mich so gern vorgebeugt, um sie tröstend zu klopfen, doch das vermochte ich nicht. Ich konnte nur gelähmt in das Licht starren.
    Die Reiter sahen so verwirrt aus, wie ich mich fühlte. Sie rempelten und pöbelten einander an, als sie sich hinter ihrem Herrn neu formierten. Ihre Angst war zu spürbar, als dass dies Teil des Rituals sein konnte. Dies war offenbar etwas völlig Neues.
    Irgendwo hinter dem Licht schrie eine Stimme: »Die milchweiß’ Stute will ich reiten, bis in die Stadt hinab! Denn einst war ich ein irdisch’ Ritter, wodurch das Recht ich hab!«
    Es dauerte einen Moment, ehe ich begriff, woher ich die Worte kannte. Ich hatte sie endlose Male selbst gesagt und noch öfter gesungen gehört, mit der süßen, leicht brüchigen Stimme meiner Mutter, wenn sie mich zum Einschlafen bringen wollte. Doch dass ich den Text kannte, hieß noch nicht, dass das Ganze Sinn ergab. Warum sollte jetzt und hier jemand die Ballade von Tam Lin rezitieren? Alte schottische Märchen gehörten nicht zum Standardrepertoire für Halloween – ach, natürlich. Es war Halloween, die Nacht der

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