October Daye: Winterfluch (German Edition)
letzte Frage stellen, um wenigstens einen winzigen Beweis dafür zu erhalten, dass mein plötzlicher Verdacht falsch war. »Nein«, gab ich zurück und warf ihr den Schlüssel zu.
Blinzelnd fing sie ihn auf. »Nein? Was meinst du mit ›nein‹?«
»Nein, ich frage jetzt nicht. Später.« Vor meinem geistigen Auge fügte sich ein Bild zusammen, grauenhaft offensichtlich, nun, da ich mir gestattete, darüber nachzudenken. Mit Blut fing alles an: Evenings Blut auf dem Teppich, mein Blut auf dem Beton, das Blut eines gedungenen Mörders und eines unschuldigen Mannes, das im Gras des Golden Gate Parks trocknete. Alles rankte sich zurück zum Beginn von allem anderen, genau wie die Metallarbeit an Evenings Schlüssel. Alles lief immer auf Blut und Rosen hinaus.
Manchmal denke ich, alles in Faerie läuft auf eines von beidem hinaus.
»Was?!«, stieß sie hervor und erhob sich ein wenig. »Das kannst du nicht machen!«
»Doch, kann ich. Wissen Sie, ich schulde Ihnen auch eine Frage. Sie können Sie jetzt stellen.« Ich lächelte und versuchte, das Übelkeit erregende Hämmern meines Herzens zu überspielen. Sie konnte mich töten, ohne darüber nachzudenken. Das wäre beinah barmherziger gewesen als das, was zu tun ich im Begriff stand. Zumindest wäre ich dann keine Verräteri n – nur tot. »Ich muss die Wahrheit sagen.«
»Was soll mich davon abhalten, dich hier und jetzt auszuweiden?«, fauchte sie und krümmte die Hände zu Klauen. »Beantworte mir das !«
»Ganz einfach«, gab ich zurück und ließ die Arme eng um den Rosenkobold geschlungen. »Wenn Sie mich töten, sterbe ich, während Sie in meiner Schuld stehen. Das könnten Sie nicht ertragen. Haben Sie selbst gesagt.«
Sie funkelte mich zornig an und wich einen halben Schritt zurück. »Eines Tages wirst du diese Frage stellen.«
»Vielleicht.«
»Wenn du es tust, werde ich das Recht haben, dich zu töten.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Noch ist es nicht so weit.« Außerdem gab es keine Gewähr dafür, dass ich so lange leben würde.
Die Luidaeg verharrte einen Augenblick, dann lächelte sie verdrossen. »Bedenkt man, wer deine Mutter ist, bist du ziemlich klug. Vielleicht überspringt der Verstand bei euch eine Generation.«
»Ich fasse dies als das auf, als was es gemeint war.« Ich verneigte mich halb. Der Rosenkobold entwand sich meinen Armen und kauerte sich auf meine Schulter.
»Was wirst du jetzt tun?«
Hätte der Angriff im Park nicht stattgefunden, hätte ich aussteigen können, denn was mir im Kopf herumspukte, wäre ohne Blut nicht möglich gewesen. Mein Blut reichte nicht, ebenso wenig jenes von Evening. Ich brauchte das Blut von jemandem, der in die Geschichte verwickelt wa r – Blut, das wenigstens einen Ansatz der Wahrheit enthalten würde. Ohne den Angriff hätte ich es dabei bewenden lassen können. Aber der Angriff hatte sich ereignet, und wir hatten das Blu t – Tybalt war davon bedeckt gewesen. Mittlerweile würde es getrocknet sein, dennoch schien es mir einen Versuch wert zu sein. Eine Chance bestand, und ich musste es einfach wissen.
»Das Einzige, was ich kann«, antwortete ich und seufzte. »Ich werde die Toten fragen.«
Kapitel 24
N ach Einbruch der Dunkelheit in der Nähe der Docks ein Taxi zu suchen ist etwas, das ich nie wieder tun werde. Ich hätte ja Danny angerufen, doch leider konnte ich kein Telefon finden. So konnte ich nur mit den Armen winken, wann immer ein Auto vorbeifuhr, und hoffen, dass sich jemand meiner erbarmen und anhalten würde. Schließlich tat es auch jemand.
Der Rosenkobold war noch nie in einem Auto gewesen. Er blickte unablässig aus den Fenstern und gab interessierte Miaulaute von sich, bis ich Mühe hatte, nicht zu lachen. Ich wollte den Fahrer nicht unbedingt davon überzeugen, dass die Frau, die er in eine der übelsten Gegenden der Stadt mitgenommen hatte, verrückt war. Außerdem fürchtete ich, das Gelächter könnte vorwiegend hysterisch ausfallen. Ich hatte die Wohnung der Luidaeg wie benommen verlassen und verzweifelt nach einer Schlussfolgerung gesucht, die nicht zu Blut führte. Es gab aber keine. Der gesamte Fall bestand aus Blutmagie und Ketten aus zerbrochenen Leben; es schien sinnvoll, ihn auch dementsprechend zu lösen. Aber was, wenn ich das nicht wollte? Tja, das hatte mich noch nie aufgehalten.
Es war nach Mitternacht, als wir bei meiner Wohnung eintrafen. Ich bezahlte den Taxifahrer mit meinem letzten Bargeld und zuckte dabei zusammen. Wenn ich nicht bald
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