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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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woher sie es wussten und wie sie uns fanden. Ich saß in meinem Zimmer und veranstaltete eine Teegesellschaft mit meinen Plüschtieren, und plötzlich waren sie da. Sie traten durch ein Loch in meiner Wand, wunderschön und schrecklich zugleich. Es war ganz unmöglich, den Blick von ihnen abzuwenden. Sie anzusehen war so, als starre man in die Sonne. Und dennoch tat ich es, bis ich glaubte, erblinden zu müssen.
    Einer von ihne n – ein Mann mit Haar in der Farbe von Fuchsfell und einem langen, freundlichen Gesich t – kniete sich vor mich hin und ergriff meine Hände. »Hallo«, sagte er. »Mein Name ist Sylvester Torquill. Ich bin ein alter Freund deiner Mutter.«
    »Hallo«, erwiderte ich, so höflich ich angesichts der Ehrfurcht nur konnte, die mir im Hals steckte. »Ich bin October.«
    Er lachte etwas stockend und meinte: »October? Also, October, ich habe eine Frage an dich. Es ist eine sehr wichtige Frage, du musst also angestrengt nachdenken, bevor du antwortest. Kannst du das für mich tun?«
    »Ich kann es versuchen«, gab ich stirnrunzelnd zurück. »Sagst du mir dann, ob die Antwort falsch war?«
    »Es gibt keine falschen Antworten, October. Nur richtige.« Die Tü r – die echte Tü r – öffnete sich, und meine Mutter trat ein. Als sie Sylvester erblickte, der immer noch vor mir kniete und meine Hände hielt, erstarrte sie. Doch sie sagte kein Wort. Stattdessen begannen die Tränen über ihre Wangen zu kullern. Ich hatte sie noch nie zuvor weinen sehen.
    »Mami!«, schrie ich und versuchte, meine Hände zu befreien, um zu ihr zu laufen und die Tränen zum Versiegen zu bringen.
    Sylvester verstärkte seinen Griff. »October.« Ich zog beharrlich. »October, sieh mich an. Du kannst zu deiner Mutter gehen, sobald du mir geantwortet hast.« Schniefend und verdrossen hörte ich auf, mich zu wehren, und drehte mich ihm zu. »Braves Mädchen. Also: Bist du ein menschliches Mädchen, October? Oder bist du ein Fae-Mädchen?«
    »Ich bin wie Mami, ich bin genau so wie Mami«, sagte ich. Er ließ mich los, und ich lief zu ihr. Nach wie vor weinend, schlang sie die Arme um mich und sagte immer noch kein Wort. Auch nicht, als Sylvester an sie herantrat, sie auf die Wange küsste und flüsterte: »Amandine, es tut mir leid.« Auch nicht, als diejenigen, die ihn begleiteten, sie an den Schultern packten und sie und mich durch das Loch in der Wand zerrten. Es schloss sich hinter uns, allerdings erst, nachdem ich gesehen hatte, wie mein Zimmer in Flammen aufging, die jede Spur unseres Abgangs auslöschten.
    Mein menschliches Leben war in dem Augenblick vorüber, in dem sie uns fanden; die einzige echte Frage war, ob ich bei den Fae leben oder aus nächster Nähe erfahren wollte, wie kalt unsterbliche »Gefälligkeit« sein kann. Wechselbälger wachsen nicht in der Welt der Menschen auf. Das geschieht einfach nicht. Hätte ich mich dafür entschieden, menschlich zu bleiben, wäre es zu irgendeinem schlichten Unfall gekommen, und meine trauernde Mutter hätte mit ihrem Mann in der Welt der Sterblichen bleiben können. Stattdessen hatte ich mich für Faerie entschieden und sie damit in die Sommerlande verbannt. Da hörte sie auf, die Mutter zu sein, die ich gekannt hatte. Ich konnte das Loch nicht füllen, das mein Vater in ihrem Herzen hinterließ, und so ließ sie es mich auch nie versuchen.
    Manchmal frage ich mich, ob diejenigen, die sich entscheiden zu sterben, nicht die richtige Wahl treffen. Niemand sagte mir, dass »Wechselbalg« eine Beleidigung sein konnte oder dass es verhieß, zwischen zwei Welten gefangen zu sein und mit ansehen zu müssen, wie die eine Hälfte der eigenen Familie starb, während die andere ewig lebte, sodass man allein zurückblieb. Das musste ich selbst herausfinden.
    Ich versuchte, mich aus den Träumen freizukämpfen, und tauchte gerade weit genug aus der beunruhigenden Erinnerung an meine Wechselbalgentscheidung auf, um zu glauben, ich könnte mich dazu bringen aufzuwachen. Ich konnte es verkraften, bei der Arbeit zusammenzubrechen. Ich konnte mich aufraffen und mit Sylvesters Pagen reden. Ich hätte gegenüber den Träumen meiner Kindheit und der Entscheidung, die ich nicht treffen wollte, fast alles vorgezogen. Fast alle s … nur das nicht, was ich schließlich bekam. Ich glitt wieder in jene in Gold getauchten Träum e …
    … und zurück in den Teich.
    Ich träume häufig von den vierzehn Jahren, die ich durch Simons Zauber verloren habe, wenngleich mir nur wenige Einzelheiten

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