October Daye: Winterfluch (German Edition)
ich konnte, um den Schmerz zu beenden: Ich verlor die Besinnung.
Lily tauchte während meines langsamen Taumelns durch ihr Hoheitsgebiet zwar nicht auf, aber sie musste dort gewesen sein, denn als mich der Wartungstechniker nackt und ausgestreckt vor dem Kartenschalter fand, ohne Ausweis oder irgendeinen Grund, mich dort aufzuhalten, sah er nur eine menschliche Frau, die das Opfer eines brutalen Angriffs geworden war. Er rief die Polizei, die mich abholte und zur Befragung aufs Revier brachte. Ich wehrte mich nicht. Ein Schock kann etwas Wunderbares sein.
Das Polizeirevier glich so ziemlich jedem anderen, das ich je gesehen hatte: ein wenig traurig, ein wenig überlastet, und außerdem brauchte es dringend eine ordentliche Dampfreinigung. Die Computer auf den Schreibtischen und die Daten auf den Kalendern nahm ich nicht wahr. Ich hatte mich noch nicht daran gewöhnt, ein Zweibeiner zu sein, weshalb erst mal ein Großteil meiner Aufmerksamkeit dafür draufging, mich auf den Beinen zu halten. Der Beamte, der sich meiner annahm, ein forscher, geradliniger Mann namens Paul Underwood, ließ jemanden kommen, der die Kratzer an meinen Ellbogen, Händen und Knien säuberte, und er besorgte Kleider für mich. Man war so freundlich, mir zu gestatten, mich auf der Toilette allein anzuziehen. Ich vermute, wenn man keine Habseligkeiten oder Taschen besitzt, wirkt man weniger wie ein gefährlicher Verbrecher, und die verschiedenen kleinen Verletzungen, die ich mir bei meinem Marsch durch den Garten zugezogen hatte, bewegten die Polizisten dazu, mir zu glauben, als ich behauptete, ich sei angegriffen und zum Sterben zurückgelassen worden. Dass ich unter Schockeinwirkung stand, half mir, überzeugend zusammenhanglos zu faseln.
Da ich allmählich begriff, was Simon getan hatte, kam ich einfach nicht über den Umstand hinweg, dass er mich tatsächlich in einen Fisch verwandelt hatte. Meine Gedanken drehten sich im Krei s – wie Welpen, die dem eigenen Schwanz nachjagen. Ich fühlte mich zwischen Angst und Wut gefangen. Ich dachte allerdings, das Schlimmste sei nun vorüber. Und hatte keine Ahnung, dass mir das Allerschlimmste erst noch bevorstan d – und wie schlimm es werden sollte.
Officer Underwood versorgte mich mit Kaffee und alles andere als frischen Donuts, bis ich anfing, zusammenhängender zu reden, dann gab er mir Formulare zum Ausfülle n – Name, Sozialversicherungsnummer, Wohnsitz, Arbeitgeber, all die üblichen Fragen. Als ich fertig war, nahm er sie mir ab, um sie zu den Akten zu geben, wie ich vermutete. Immer noch Standardverfahre n … bis er zehn Minuten später mit Mordlust in den Augen zurückkehrte.
»Was genau versuchen Sie, hier abzuziehen, Lady?«
Es war mein Name, der den Ausschlag gab. Underwood kannte ihn, weil er mit dem Fall meines Verschwindens betraut gewesen war. Er hatte ein Jahr lang Steine umgedreht, Zeugen befragt und sogar den großen See im Golden-Gate-Park nach meiner Leiche absuchen lassen, ohne etwas zu finden, deshalb hielt er es weder für besonders klug noch für besonders lustig, dass ich mich als eine Tote ausgab. Er reichte mir einen neuen Satz Formulare und befahl mir, sie diesmal korrekt und ohne alberne Scherze auszufüllen. Ich glaube, da begann ich allmählich zu begreifen, in welchen Schwierigkeiten ich tatsächlich steckte. Wie betäubt drehte ich die Formulare zu mir herum und begann mit dem Ausfüllen. Die erste Korrektur erfolgte bereits, bevor ich bei meinem Namen ankam.
»Sie haben ja das falsche Datum geschrieben. Wir haben den 11. Juni 2009, nicht 1995. Herrgott, Lady, ein bisschen mehr Sorgfalt.«
Meine Finger verkrampften sich und brachen den Bleistift entzwei, während ich den Beamten mit geweiteten Augen fassungslos anstarrte. »Wie lange?«, flüsterte ich.
»Was?«
»Wie lange hat er mic h … oh nein. Oh, Eiche und Esche, nein .« Ich schloss die Augen und erschlaffte, als das volle Ausmaß der Lage in mein Bewusstsein sickerte. Vierzehn Jahre. Ich hatte gefürchtet, der Zauber könnte Wochen, vielleicht sogar Monate angehalten haben, aber vierzehn Jahre ? Es war zu viel, um es zu begreifen. Aber ich hatte keine andere Wahl, und von da an wurde es nur noch schlimmer.
Alles war weg. Alles, was ich mir in der Welt der Sterblichen aufgebaut und wofür ich gearbeitet hatte. Cliff hatte mein Geschäft verkauft, um meine Schulden abzudecken, nachdem die Gültigkeit meiner Lizenz als Privatdetektivin abgelaufen wa r … nachdem die Gültigkeit meiner Existenz
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