October Daye: Winterfluch (German Edition)
hatte. Oder vielleicht wollte er auch bloß nicht, dass ich ihm weitere Fragen stellte.
»Ja, das habe ich.« Woher kannte denn dieser Bursche Evening? Vor vierzehn Jahren hätte sie sich nie so tief in die Elendsviertel der Wechselbälger begeben. Andererseits können sich selbst Reinblütler ändern, wenn sie auch Zeit dafür brauchen. Vielleicht hatten bei Evening anderthalb Jahrzehnte dafür gereicht.
»Tut mir leid.«
»Willkommen im Klub. Wie hast du erfahren, dass sie tot ist?« Damit waren die Worte ausgesprochen und hingen kalt und nüchtern zwischen uns.
Ich musste ihm zugutehalten, dass er mir in die Augen sah, als er erwiderte: »Neuigkeiten verbreiten sich schnell. Ein Glastig, der in ihrem Haus wohnt, hat es uns erzähl t – Bucer O’Mallery? Er hat gesehen, wie die Polizei in ihre Wohnung ging. Dann hat er lange genug gelauscht, um herauszufinden, was vor sich ging. Danach kam er hierher und hat uns Bescheid gesagt.«
»Bucer wohnt in ihrem Haus? Wie um alles in der Welt kann er sich leisten, di e … ach, egal. Ist nicht wichtig.« Ich erinnerte mich an Bucer. Er war zwar nie eines von Devins Kindern gewesen, aber er hatte von Zeit zu Zeit Gelegenheitsarbeiten für ihn verrichtet. Wenn er sich einen Gewinn davon versprochen hätte, würde er die Neuigkeit von Evenings Tod so schnell ins Heim gebracht haben, wie er nur konnte. »Weißt du, wohin er von hier aus wollte?«
»Zum Hof der Königin«, antwortete er. »Um es ihr zu sagen.«
Ich verzog das Gesicht. »Na, wunderbar.« Also schon mal eine Spur weniger. Nach seiner Unterhaltung mit der Königin würde Bucer nämlich nie und nimmer mit mir reden.
Manuel runzelte die Stirn. »Wenn Sie Bucer nicht gesehen haben, woher wissen Sie dan n … ?«
»Ich weiß es einfach, in Ordnung?« Ich wusste alles, kannte jede Einzelheit, angefangen damit, wie es sich angefühlt hatte, als das Blut ihre Lungen zu füllen begann, bis hin zum Brennen von Eisen auf ihrer Haut. Ich wusste einfach alles, abgesehen davon, wer es getan hatte. Und eben das musste ich unbedingt in Erfahrung bringen.
»Tut mir leid«, wiederholte Manuel. »Ich hätte mir denken können, dass Sie Bescheid wissen. Die dort oben wissen immer Bescheid.« Dort oben . Also benutzte man noch immer diese reizende Umschreibung für die Besitztümer der Reinblütler in der Stadt. Ich hatte sie schon damals nicht gemocht, als ich noch in den Elendsvierteln der Wechselbälger gelebt hatte, und ich mochte sie nun, da ich mich bestmöglich bemühte, die Gesellschaft von Faerie gänzlich hinter mir zu lassen, noch immer nicht. Es ist nicht schwierig, Leute ins Abseits zu schieben, die es längst schon selbst getan haben.
Ich kehrte gerade noch rechtzeitig aus meiner Grübelei über die Überreste meiner Wurzeln zurück, um ihn sagen zu hören: »… aber sie war gut zu uns, und sie wird uns fehlen. Wir werden sie immer vermissen.«
Meine Abneigung gegen seinen Sprachgebrauch schlich sich in meinen Tonfall ein, wodurch ich wohl etwas barscher als beabsichtigt klang, als ich entgegnete: »Reden wir hier von derselben Evening? Daoine Sidhe, dunkles Haar, kümmerte sich einen feuchten Kehricht um Dinge, die ihr nicht gehörten?«
Das schien ihn aufzurütteln. Er straffte die Schultern und verengte die Augen zu Schlitzen. Evening zu beleidigen war offenbar schlimmer, als seine Schwester zu beleidigen und erneut ertappte ich mich dabei, rasch meine Meinung über jemanden zu überdenken, den ich schon zu kennen geglaubt hatte. Was konnte Evening getan haben, um eine solche Reaktion bei einem Wechselbalgstraßenkind hervorzurufen, das wahrscheinlich keine Schule mehr von innen gesehen hatte, seit es acht war?
»Die Winterrose war eine Freundin vom Boss. Sie hat viel für uns hier geta n … Ma’am.« Er benutzte das »Ma’am« beinah wie ein Schimpfwort. Nur eine Winzigkeit fehlte noch zu einer Beleidigung, und seine Zurückhaltung schrumpfte schon.
»Ruhig Blut, Manuel«, sagte ich und hob die Hände. »Ich hatte nicht die Absicht, dich zu verärgern. Evening und ich waren seit Langem befreundet, auch wenn wir uns nicht immer so verhalten haben. Ich werde herausfinden, wer sie getötet hat, und diejenigen werden dafür bezahlen.«
Der Zorn in seinen Augen verblasste, beschwichtigt vom Versprechen der Vergeltung. »In Ordnung. Ich wünschte nur, wir hätten es früher gewusst. Wenn uns jemand Bescheid gesagt hätt e … wir hätten sie retten können.« Er wirkte so überzeugt davon, so sicher
Weitere Kostenlose Bücher