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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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hatte.
    Ich atmete rasch ein und glich den »Geschmack« ihres Abgangs mit meiner angeborenen Kenntnis der Fae-Rassen ab, die ich von meiner Mutter geerbt hatte. Dare schmeckte nach Piskie. Das ergab schon mehr Sinn, schließlich waren Piskies nicht nur Größenwandler, sondern auch von Natur aus Diebe, weshalb sich ihre Nachkommen unwillkürlich zu einem Ort wie diesem hier hingezogen fühlen mussten.
    Ihr Bruder beobachtete mich mit einem Gesichtsausdruck zwischen Ehrfurcht und Grauen. Ich zog eine Augenbraue hoch. »Ja?«
    Er zuckte zusammen, was ich sonderbar befriedigend fand. Ich vermute, Leute sterben zu lassen, kehrt nicht gerade meine besten Seiten hervor. »Sie sind October Daye«, sagte er. Seine Stimme wies einen leichteren Akzent als die seiner Schwester auf, was meinen Eindruck erhärtete, dass sie ihn aus Effekthascherei übertrieb.
    »Ja«, bestätigte ich und widerstand dem Drang, noch etwas hinzuzufügen. Angesichts des Blickes, mit dem er mich bedachte, hätte er sonst womöglich die Flucht ergriffen. Das wiederum hätte Devin aufgeregt, und ich konnte ihn auf keinen Fall wütend gebrauchen, wenn ich uneingeladen in sein Hoheitsgebiet kam und um Gefälligkeiten bitten wollte.
    »Sie haben die Winterrose gekannt«, bemerkte er in geradezu kläglichem Tonfall.
    Ich nahm mir die Zeit, ihn neu einzuschätzen. Er war größer als ich und besaß jenen dürren, schlaksigen Teenagerkörperbau, der sich stets klammheimlich zu füllen schien. Insgesamt sah er aus wi e … wie sich Filmproduzenten Straßenschläger vorstellte n: zu gepflegt, mit geradezu unnatürlich goldenem Haar, das er zu einem groben Pferdeschwanz zurückgebunden trug. Ein fast welpenhafter Ausdruck milderte die Wirkung seiner allzu grünen Augen etwas ab. Allein die spitzen Ohren störten das Bild und ließen ihn eher in ein Fantasy-Rollenspiel als an den Drehort des jüngsten Teenagerdramas passen. Ich schätzte ihn auf höchstens sechzehn, vielleicht siebzehn, wenn man die Wahrheit etwas streckte und beide Augen zukniff. »Wie heißt du, Junge?«
    Er errötete unter meinem prüfenden Blick, doch es gelang ihm, nicht beschämt von einem Bein aufs andere zu treten, als er antwortete: »Manuel.«
    »Ist Dare deine Schwester?«
    »Ja«, erwiderte er und schaute verlegen drein. Ich ertappte mich dabei, dass ich mich fast gegen meinen Willen für ihn erwärmte. »Tut mir leid, wie sie mit Ihnen geredet hat. Manchmal kommt sie mit Leuten, die nich t … nicht hier aus der Gegend sind, nicht besonders gut klar.«
    »Leute, die nicht zur Familie gehören«, hatte er gemeint, doch ich spürte, dass er es mir nicht ins Gesicht sagen wollte. Ich revidierte meine Meinung von seiner Intelligenz etwas nach oben und sagte: »Ist ja keine große Sache; ich habe früher hier gelebt, und mich haben mehr Punks von oben herab behandelt, als ich zählen kann.« Er errötete wieder und hatte Mühe, mich nicht feindselig anzustarren. Das rechnete ich dem Jungen hoch an: Auch wenn man eine Schwester hatte, die ein Gör war, sollte man für sie eintreten. »Entspann dich, ja? Ich sagte, ich würde Devin nichts erzählen, und das werde ich auch nicht. Solche Schwierigkeiten verdient sie nicht, nur weil sie ein loses Mundwerk hat.«
    Manuel lächelte, was ich unwillkürlich erwiderte. Wenn er mal ganz erwachsen wäre, würde er ein Herzensbrecher werden. »D… das ist sehr freundlich, Ms. Daye.« Oh, er war so jung: Ich konnte das hastig unterdrückte »Danke« in seinem Stottern geradezu hören. Es dauert eine Weile, bis man bestimmte Regeln verinnerlicht hat, besonders bei Wechselbälgern. Wir werden nicht in sie hineingeboren, und unsere sterblichen Eltern neigen dazu, uns, lange bevor die Wechselbalgentscheidung ansteht, grundlegende Manieren einzutrichtern.
    Ich zuckte mit den Schultern. »Kein Problem. Ich hab in ihrem Alter auch Mist gebaut, und wenn man bei mir nicht hin und wieder ein Auge zugedrückt hätte, gäbe es mich schon längst nicht mehr.« Ich verstummte kurz und legte mir die Worte sorgfältig zurecht, ehe ich fortfuhr. »Du sagtest, dass ich ›die Winterrose‹ gekannt hab e … Wen genau hast du damit gemeint?« Innerlich fügte ich hinzu: Und woher wusstest du, dass sie tot ist, Junge?
    »Gräfin Winterrose.« Er strich sich mit dem Handrücken die Haare aus den Augen. »Sie haben doch davon gehört, oder?« Schlagartig klang er wieder nervös: Er wollte auf keinen Fall derjenige sein, der mir mitteilte, dass ich eine Freundin verloren

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