October Daye: Winterfluch (German Edition)
geschlungen und tat es mir so ziemlich gleich, ergänzt um den grollenden Unterton ihres Schnurrens. Der Mann, mit dem sie gesprochen hatte, trat einen Schritt zurück, um aus dem Weg zu gehen, und beobachtete unsere Wiedervereinigung mit einem kleinen, fragenden Lächeln.
Letztlich schob ich Julie auf Armeslänge und musterte sie. »Was tust du denn hier?«
»Das Übliche.« Julie zuckte mit den Schultern und verdrehte die Augen, um auszudrücken, dass sie mit »das Übliche« nichts von Bedeutung meinte. »Onkel Tybalt regt sich mal wieder entsetzlich auf, deshalb bin ich hier und spiele die Helferin, bis es zu Hause wieder sicher ist.«
»Was hast du getan?«
Sie grinste. »Ihn gebissen.«
»Gut.« Ich drückte ihre Oberarme und erwiderte ihr Grinsen. Julie ist ein Cait-Sidhe-Wechselbalg, das Ergebnis einer Tändelei zwischen einem von Tybalts Höflingen und einer Sterblichen. Zum Leidwesen aller Beteiligten hatte sie die Wechselbalg-Entscheidung auf äußerst dramatische Weise vermasselt. Es gab einen Unfal l – dessen Einzelheiten ich allerdings nie erfahren hab e – , und ihre sterbliche Mutter kam dabei um, während Julie im Alter von sechs Jahren ihre artbedingte Gabe des Gestaltwandelns anzapfte. Als die Polizei eintraf, fand sie eine Leiche vor, aber kein kleines Mädchen. Julie befand sich bereits in den Händen der Familie ihres Vaters.
Es dauerte Jahre, sie in eine menschliche Gestalt zurückzulocken. Soweit ich weiß, hat Tybalt alles versucht, bis sie sich schließlich einfach verwandelte. Seither verläuft ihre Beziehung so: Als ihr De-facto-Onkel setzt er alles daran, sie zur Befolgung der Gesetze des Hofs der Katzen zu bewegen, und sie ignoriert sie weitgehend, bis zu dem Punkt, an dem sie hinausgeworfen wird. Immer wieder. Sie war ein verbittertes, trotziges, verhaltensgestörtes Kind, das zu einem gleichermaßen verhaltensgestörten Teenager heranwuchs; so war es nur natürlich, dass wir an dem Tag Freundinnen wurden, an dem wir uns begegneten. Sie birgt eine Menge Wut in sich und weiß sie auch auszudrücken. Als jemand, der schon immer besser verdrängte als etwas auszudrücken, beneidete ich sie darum.
Julie weist zudem das besondere Merkmal auf, der Grund dafür zu sein, weshalb Tybalt mich auf den Tod nicht ausstehen kann. Während meiner Zeit in den Sommerlanden hatten wir einige feindselige Auseinandersetzungen. Die meisten davon endeten damit, dass er mich daran erinnerte, wie liebend gern er mich ausweiden würde, wäre da nicht meine Mutter. Als wir heranwuchsen, folgte mir Julie vom Hof ihres Onkels geradewegs ins Hei m – die erste Cait Sidhe, die etwas Derartiges wagte. Glückspilz, der ich bin, beschloss er, mir statt ihr die Schuld zu geben, weil ich »die Klügere« war. So bin ich eben. So lange ich zurückdenken kann, schaffe ich mir durch meinen Verstand Feinde.
»Möchtest du meinen Schatz kennenlernen?«, fragte Julie, packte den braunhaarigen Mann am Arm und zog ihn herbei, auf dass ich ihn bewundern konnte. »Ross, das ist October Day e – Toby, das ist Ross Hampton.«
»Sehr erfreut«, sagte er und streckte die Hand aus. Ich ergriff sie und schüttelte sie kräftig, während ich ihn musterte. Er war bestenfalls ein Viertelblut, und sein Erbe war unterschwellig. Etwas in den Schatten seiner Augen hätte mir ein Hinweis sein sollen, aber ich war zu müde, um es genau erkennen zu können. »Julie redet viel von dir.«
»Jetzt mach ich mir Sorgen«, sagte ich, zog die Hand zurück und sah Julie an.
»Seine Mutter war eine Dienerin dieser Lande«, erklärte Lily. Sie streckte sich auf die Zehenspitzen und zerzauste Ross das Haar. Er ließ es gutmütig über sich ergehen und bückte sich sogar, um es ihr einfacher zu machen. »In ihrer Abwesenheit fungieren wir als sein Heim und Herd. Er braucht Hilfsmittel, um unsere grundlegenden Trugbanne zu durchschauen, aber es ist nicht schlimm genug, um ihn seines Platzes zu berauben.«
Dünnes Blut gilt in Faerie als sozialer Makel, ist jedoch nicht schlimm genug, um jemanden völlig zu verbannen. Einige von Faeries bedeutendsten Gelehrten und Magie-Theoretikern hatten dünnes Blu t – es verlieh ihnen die Fähigkeit, uns als das zu betrachten, was wir sind, aber mit einem Abstand. Und dadurch wurden sie stärker, als die meisten Leute begreifen können. Es sagte schon einiges über Lily aus, dass sie Ross und Marcia bei sich aufgenommen hatte.
»Alles klar«, meinte ich nur und schob die Hände in die Hosentaschen. Dann
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