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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seanan McGuire
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Gedankengang dahinter. Der Tee half mir einerseits, den Blutverlust wettzumachen, andererseits zwang er Undinen-Wasser in meinen Körper. Das war an sich gut so, allerdings wurde die Vorstellung, in sirupartigem Blumentee zu ertrinken, dadurch nicht gerade verlockender.
    Lily bedachte mich mit einem strengen Blick. »Du bist dann damit fertig, wenn ich es dir sage.«
    »Zu Befehl.« Ich verzog das Gesicht und trank einen Schluck. Es gab zwar einen handfesten Grund für mich, den Tee zu trinken, dennoch wäre ich für eine Tasse Kaffee beinahe bereit gewesen, jemanden zu töten.
    Mit sanfterer Stimme sagte Lily: »Es tut mir leid, wenn ich wie eine Glucke wirke, October, aber ich will nicht miterleben müssen, dass dich deine Hast noch umbringt. Nicht, wenn ich es vermeiden kann, indem ich dich hierbehalte.«
    »Das ist doch keine Hast, Lily. Ich habe lediglich eine Aufgabe zu erledigen.« Die Undinen haben eine eher langsame, träge Sichtweise der Zeit. Für Lily sind ein Jahr und ein Tag so ziemlich dasselbe.
    »Ach, tatsächlich? Willst du damit etwas sagen, dass du grundlos aus dem Aussichtsteich gefischt werden musstest? Wie eigenartig. Mir hätte klar sein müssen, dass du absichtlich aus Erschöpfung und Überanstrengung dort zusammengebrochen bist und darauf bestehen würdest, wieder hingelegt zu werden. Das tut mir leid.«
    Ich seufzte. »Lily, durch Hast wird man in der Regel nicht angeschossen.«
    »Ich verstehe. Dann hast du dir vermutlich die Zeit genommen zu überlegen, und alle Handlungen, die dazu führten, dass du angeschossen wurdest, waren wohl durchdacht.«
    »Ic h … « Lily verengte die Augen zu Schlitzen, und ich verstummte. In Gedanken ging ich die Ereignisse des Nachmittags durch. Ich hatte weder nachgedacht, noch hatte ich gehandel t – ich hatte bloß reagiert. Seit ich Evenings Stimme auf meinem Anrufbeantworter gehört hatte, reagierte ich überhaupt nur noch. Ich wandte den Blick ab und gestand: »Nein.«
    »Dachte ich mir schon. Seit ich dich kenne, versuchen Leute, dich umzubringen; das scheint einen ganz gewöhnlichen Bestandteil deines Daseins zu bilden. Und ich habe mich längst mit der Tatsache abgefunden. Allerdings habe ich noch nie erlebt, dass du dich so wenig bemühst, diesem Bestreben entgegenzuwirken. Es hat fast den Anschein, als wolltest du, dass man dich erwischt.«
    »Lily, ic h … «
    »Nein«, fiel sie mir ins Wort, und ich verstummte, gebremst von der Mauer ihrer Unerbittlichkeit. »Du vergisst, wie gut ich deine Mutter gekannt habe, October. Amandines Ausreden waren den deinen stets sehr ähnlich. Nichts, was du sagst, wird mir neu sein.«
    Ich schaute auf, und sie begegnete meinem Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Ihre Lippen verzogen sich zu einem matten, traurigen Lächeln und die Schuppen, die über ihre Wangen verliefen, kräuselten sich. »Mag sein. Aber du hast sie immer gehen lassen.«
    Das Lächeln verblasste, wurde noch trauriger und zugleich schicksalsergebener. »Und ich habe es immer bedauert.«
    »Wir tun, was wir tun müssen.«
    »Und so muss es wohl auch sein.« Sie seufzte. »Na ja.«
    »Was jetzt?«
    »Jetzt verlässt du mich. Selbst wenn ich dich gegen deinen Willen hier festhalten könnt e – selbst wenn ich es nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben, überhaupt wollt e … die Winterrose hat dich gebunden, und ich kann dem Gesetz nicht so gezielt trotzen. Die Sonne geht bald unter.«
    »Unter?«, hakte ich nach und starrte sie an. »Lily, es war doch Nacht, als ich hierhergekommen bin.« Flüchtig fragte ich mich, wie viel Arbeitszeit ich wohl verpasst haben mochte.
    »Die Zeit vergeht, October«, gab sie zurück. Darauf fiel mir keine Erwiderung ein. Lily sah mich ungerührt an und fuhr fort. »Sobald die Sonne untergegangen ist, wird Marcia ein Taxi für dich rufen, und ich lasse dich von einer meiner Helferinnen zum Rand des Parks begleiten. Wenn du mein Land verlässt, kannst du tun, was immer du für notwendig erachtest, und ich werde getan haben, was die Gastfreundschaft gebietet.«
    »In Ordnung«, sagte ich.
    »Ich bin noch nicht fertig.« Ihr Tonfall wurde schärfer und kälter. »Wären da nicht diese Bindung und der Umstand, dass du schon einmal mein unfreiwilliger Gast warst, würde ich dich überhaupt nicht gehen lassen. Das sollst du wissen. Deine Mutter würde mir deinen Tod nie verzeihen.«
    »Meine Mutter hat die Sommerlande seit zwanzig Jahren nicht mehr verlassen«, gab ich zurück, ehe ich mich bremsen konnte.

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