October Daye: Winterfluch (German Edition)
sah ich wieder Julie an und sagte: »Ich vermute, du weißt, was los ist, oder?«
»Lily sagt, du hast Probleme mit schießwütigen Idioten, deshalb sind Ross und ich hier, um dich durch den großen, bösen Park bis zu deiner wartenden Kutsche zu bringen, die in deinem Fall ein Taxi aus San Francisco ist«, gab sie zurück und drückte sich Ross’ Arm in einer besitzergreifenden Geste an die Brust. »Wird ein Spaziergang.«
»Genau«, erwiderte ich und spähte zu Lily hin, die den Kopf schüttelte. Dies war meine Entscheidung. Sie wusste, dass Julie genug Cait Sidhe war, um Bedrohungen körperlicher Gewalt niemals ernst zu nehmen; sie hielt sich selbst für die größte Bedrohung in der Gegend, obwohl ihr Blut so dünn war wie das meine. Was aber Ross betra f … Er mochte es gut meinen, doch er war ein Viertelblut, was bedeutete, dass seine Magie bestenfalls schwach, falls überhaupt vorhanden war. Sie gab mir also einen Viertelblütler mit, der vermutlich höchstens laut schreien und sich verstecken könnte, und eine halbe Cait Sidhe, die glaubte, sie könne alles und jedem Angst einjagen, nur dadurch dass sie brüllte und die Krallen zeigte. Warum?
Weil sie dachte, mich auf diese Weise davon überzeugen zu können, nicht zu gehen. Kopfschüttelnd setzte ich mich in Richtung des Tores in Bewegung. Falls wir von etwas angegriffen werden würden, könnten wir einfach in Panik geraten, bis es verschwände. »Kommt. Bringen wir diese wandernde Kuriositätenschau in die Gänge.«
Lily folgte uns so weit, wie sie konnte. Als wir ihr Land verließen und den eigentlichen Park betraten, sagte sie: »October?«
Julie und Ross befanden sich einige Schritte vor mir. Julie hielt noch immer seinen Arm fest. Ich blickte zu Lily zurück, die sich als Umriss vor dem Gartentor abzeichnete, und erwiderte bloß: »Ja?«
»Sei vorsichtig.«
»Bin ich das nicht immer?«, fragte ich. Damit wandte ich mich ab, ohne eine Antwort abzuwarten, und folgte meiner Eskorte durch das Tor hinaus.
Außerhalb des Teegartens herrschte fast völlige Finsternis. Nur das Licht unregelmäßig verteilter Straßenlaternen und das Funkeln vorbeifliegender Pixies durchbrachen die Schatten. Sowohl Fae-Gestalten als auch menschliche Schemen bewegten sich durch die dunklen Flecken und folgten den Pfaden, die ihnen die Nacht offenbarte. Die nächtlichen Bewohner des Golden-Gate-Parks brauchen allesamt wenig Licht; es würde ihnen höchstens Dinge offenbaren, die sie lieber im Verborgenen wussten.
Nachdem wir Lilys Hoheitsgebiet hinter uns gelassen hatten, ging Julie voraus. Dank ihres Cait-Sidhe-Erbes verfügte sie über eine Nachtsicht, neben der sich die meine geradezu mickrig ausnahm. Allerdings war meine vermutlich besser als jene von Ross. Fae-Salbe ermöglicht es Menschen, Trugbanne zu durchschauen, aber sie vermag nicht, das menschliche Auge zu verändern. Er musste also mit dem auskommen, was sein Blut ihm gewährte. Ich bemühte mich, möglichst Schritt zu halten. Das Pochen in meiner Schulter blieb ein steter Begleiter, allerdings so gedämpft, dass es nur eine geringe Ablenkung bedeutete. Lily verstand ihr Handwerk.
»Für Dezember ist es eine angenehme Nacht«, sagte ich noch und kniff in der nebligen Düsternis die Augen zusammen. »Ich bilde mir fast ein, die Hand vor dem Gesicht zu sehen.«
»Mag sein«, sagte Julie. »Es regnet jedenfalls nicht. Das ist doch schon mal etwas.«
»Ich mag Regen.«
Julie warf mir einen garstigen Blick zu, ihre Augen schimmerten in einem fahlen, verärgerten Grün. Ich grinste sie an. Die meisten Katzen mögen kein Wasser, und obwohl Julie sich gerne als Tigerin aufspielte, war sie in dieser Hinsicht nicht anders. Ja, Tiger hatten Streifen, aber die hatten Tigerkatzen ebenfalls. Wenn man den Unterschied zwischen den beiden herausfinden möchte, braucht man sie nur in einen Swimmingpool zu werfen. Danach empfehle ich allerdings, umgehend die Flucht zu ergreifen.
»Ich nicht«, gab sie mürrisch zurück.
»Ich schon«, sagte Ross. Ein Teil der Anspannung wich aus Julies Schultern. Lächelnd bedachte sie mich mit einem Achselzucken, aus dem sprach: »Was soll man machen?«. Ich grinste zurück. Cliff hatte mir eine Menge über die Anpassungsmöglichkeiten der eigenen Einstellung beigebracht, die man bisweilen vornehmen muss, wenn man den Frieden in einer Beziehung aufrechterhalten will. Allmählich fing ich an zu glauben, dass dieser Ross mehr als nur ein flüchtiges Techtelmechtel werden könnte.
Die
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