Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
ich schaffte es, zog die Tür auf und schlüpfte hinein, ohne einen Schuss in den Rücken zu bekommen.
Vor mir begann tatsächlich eine Wendeltreppe. Als ich sie hinabgestiegen war, kam ich in einen engen, niedrigen Gang mit Kabinentüren auf beiden Seiten und einer weiteren Tür am gegenüberliegenden Ende, die noch ein gutes Stück vom Bug entfernt sein musste.
Verständlicherweise werdet ihr euch an diesem Punkt womöglich fragen: Was für einen Plan hat dieser Knallkopf eigentlich?
Wie üblich hatte ich keinen Plan. Im Nachhinein sah es zwar manchmal so aus, als hätte ich eine penibel ausgetüftelte Strategie verfolgt und mich an einen mit der Stoppuhr getimten Einsatzplan gehalten. Wie ihr wisst, mache ich meine Pläne jedoch unterwegs, während mir das Herz bis zum Hals schlägt und meine Gedärme kurz vor dem Kollaps stehen.
Im Lauf der Zeit habe ich festgestellt, dass diese provisorische Vorgehensweise gut funktioniert. Außer, wenn sie das mal gerade nicht tut.
Indem ich handle, lerne ich, wie ich handeln muss. Indem ich gehe, lerne ich, mir den Weg zu suchen. Eines Tages werde ich sterben lernen, indem ich sterbe, die Welt verlasse und hoffe, im Licht zu landen.
Mit gehobener Pistole pirschte ich mich durch den Gang, ohne auf die Türen links und rechts zu achten, hinter denen womöglich etwas Unerfreuliches lauerte. Was ich nun am wenigsten gebrauchen konnte, waren Überraschungen, wenngleich diese auf unserer Welt mit sechs Milliarden Menschen, die alle aus freiem Willen und allzu oft tollkühn handelten, unvermeidlich waren. Leider waren diese Überraschungen
nur selten von der Sorte, über die man grinsen und sich freuen konnte.
Immerhin widersetzte sich die Tür am Ende des Gangs einem meiner typischsten Erfahrungsmuster, indem sie völlig lautlos aufschwang. Erfreut darüber, dass ich keine Kugel ins Gesicht bekam, trat ich über die hochgezogene Schwelle in den Maschinenraum.
Allerhand äußerst interessante Apparate und ein Labyrinth aus Rohren nutzten jeden Winkel. Das Ganze sah aus wie ein dreidimensionales Puzzle, das man perfekt auf kleinstem Raum untergebracht hatte. Alles war so makellos in Schuss, dass es hier sauberer war als in vielen Küchen. Jedes Detail war frisch lackiert, kein Rostfleck sichtbar.
Offenbar waren nicht alle Mitarbeiter der Hafenmeisterei von ihrem Job abgelenkt, indem sie finstere Komplotte schmiedeten.
Hinter der Schwelle stehend, zögerte ich damit, die Tür zu schließen, obwohl ich scheinbar allein war.
Dies war ein Schlepper, kein Schlachtschiff und auch kein Zerstörer, weshalb der Maschinenraum nicht von einem liebenswerten, aber zähen Bootsmann befehligt wurde, unterstützt von einer Crew aus schwitzenden, immer zu zotigen Scherzen aufgelegten, aber tapferen Matrosen, die - zwischen Pokerspielen, Mundharmonikaeinlagen und rührseligen Gesprächen über ihre Mädels daheim - ständig von versagenden oder sich überhitzenden Kesseln, durch zu viel Druck berstenden Rohrverbindungen und haufenweise weiteren Krisen in Trab gehalten wurden. In dieser Kammer musste überhaupt niemand darauf achten, dass die Maschinerie wie vorgesehen ihren Dienst tat, was einer der Gründe sein dürfte, wieso man in Hollywood nie einen großen Weltkriegsfilm über einen Schlepper gedreht hat.
Weil das Licht brannte, als ich die Tür aufgemacht hatte, nahm ich an, dass vor kurzem jemand hier gewesen war und bald wiederkehren würde.
Als ich mich schon zurückziehen wollte, um mir ein anderes Versteck zu suchen, hörte ich Schritte die Treppe herunterkommen. Rasch zog ich hinter mir die Tür zu.
So eng auch alles war, die Technik war so eingebaut, dass sie gewartet werden konnte. Ich schlängelte mich durch den dafür gedachten Gang hindurch, bis ich möglichst weit vom Eingang entfernt war.
Leider war das nicht weit genug, als dass ich mich dort sicher gefühlt hätte.
Hinter Pumpen und Rohre geduckt, konnte ich die Tür nicht sehen, hörte jedoch, wie sie aufging und sich wieder schloss.
Jemand war hereingekommen, tat allerdings anscheinend nichts, außer an der Tür stehen zu bleiben. Da man die Maschinen noch nicht in Gang gesetzt hatte, war es so still, dass ich gehört hätte, wenn jemand herumgegangen wäre.
Wie ich selbst gegenüber Chief Hoss Shackett zugegeben hatte, war ich jemand mit einer äußerst lebhaften Fantasie, die nun Kapriolen schlug. Deshalb stellte ich mir vor, dass der Mann an der Tür eine Gasmaske trug und sich darauf vorbereitete, einen
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