Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
Vorbereitungen auf dem Schlepper wiesen darauf hin, dass sie weiterhin vorhatten, die Waffen draußen auf dem Meer von einem anderen Schiff zu übernehmen.
Da ich nun ihre Absichten kannte und ihnen entwischt war, hatten sie möglicherweise entschieden, es sei zu gefährlich, mit den Bomben zum Hafen zurückzukehren. Wenn sie deshalb einem Alternativplan folgten und das Zeug anderswo an der Küste an Land brachten, dann hatte ich keine Chance, sie aufzuhalten, sofern ich mich nicht als blinder Passagier betätigte.
Um an Bord zu kommen, musste ich den Wachposten da vorn überwältigen, aber mir fiel keine Methode ein, das leise zu erledigen.
Außerdem musste ich die ganze Breite des Kais überqueren, um an den Kerl heranzukommen, und der war zweifellos besser bewaffnet als ich. Ein besserer Schütze. Ein besserer Kämpfer. Härter als ich. Brutaler. Wahrscheinlich ein Kung-Fu-Meister. Ausgestattet mit Messern und Wurfsternen, die an sechs verschiedenen Orten seines durchtrainierten Körpers verborgen waren. Und wenn ich irgendwie doch in der Lage war, ihm jede dieser Mordwaffen abzunehmen, dann wusste dieser Typ bestimmt, wie man aus einem seiner Schuhe
eine tödliche Waffe fabrizierte, entweder dem linken oder dem rechten, ganz egal.
Während ich mich mit solchen Fantasien lähmte, tauchte auf dem langen Achterdeck des Schleppers ein weiterer Mann auf. Trotz des Nebels konnte ich ihn als schattenhafte Gestalt erkennen, da die auf den dort montierten Kran gerichtete Lampe sehr hell war.
Er rief den Namen eines gewissen Jackie, und dieser entpuppte sich als der Wachposten, der am Geländer hockte und darauf wartete, mich mit einem seiner Schuhe kaltzumachen. Jackie erhob sich aus seinem dunklen Versteck und ging die Gangway hinunter.
Wenig später gesellte er sich zu dem Mann auf dem Deck des Schleppers, worauf die beiden sich irgendeiner letzten Aufgabe vor der Abfahrt widmeten. Vielleicht opferten sie Beelzebub ein Kätzchen oder vollführten ein anderes finsteres Ritual, mit dem abgrundtief böse Burschen um eine sichere Seefahrt flehten.
Im Gegensatz zu den Stegen, zwischen denen das Boot lag, war die Gangway beleuchtet, aber sie stellte den einzigen vernünftigen Zugang dar. Wenn ich ein Stück weit entfernt ins Wasser sprang, um zu einem der Stege zu schwimmen, dann kam sicher die gesamte Mannschaft an Deck, um festzustellen, ob der sagenhafte Harry Lime wohl genauso kugelfest wie hellseherisch begabt war.
Die beiden Männer auf dem Achterdeck wandten mir den Rücken zu.
Alles zu seiner Zeit, und nun war die richtige Zeit für ein wenig Wagemut.
Ich zog die Pistole aus dem Hosenbund, stand auf und ging mit raschen Schritten zu der Lücke im Geländer. Von dort aus marschierte ich dreist die Gangway hinab. Falls ausgerechnet
jetzt jemand aufs Vordeck trat und mich sah, hielt er mich hoffentlich für einen Komplizen, denn im Nebel war ich nicht deutlich zu erkennen.
Das über die Bucht schallende Nebelhorn klang wie der klagende Schrei eines riesigen Urtiers, das als letztes seiner Art übrig geblieben war.
Ich erreichte das Ende der Gangway, ohne entdeckt zu werden, und ging über den Steg aufs Boot zu. Das Achterdeck lag so tief, dass ich sehen konnte, wie die beiden Männer sich an dem kleinen Kran zu schaffen machten.
Da sie mir immer noch den Rücken zuwandten, wagte ich es, die aufs Boot führende Gangway zu betreten. Sie war nicht fest installiert wie jene, die ich gerade heruntergekommen war, sondern faltbar, und ich hatte den Eindruck, dass meine Schritte darauf furchtbar laut klangen. Dennoch kam ich problemlos an Bord.
Jackie und sein Freund waren keine vier Meter von mir entfernt. Die Halogenlampe verbreitete einen so grellen Schein, dass die beiden sich nur umdrehen mussten, um mich als Fremden zu erkennen.
Die schnellste Möglichkeit, dieses Deck zu verlassen, bot eine Treppe zum Vordeck, die sich gleich rechts von mir befand. Dort führte ein Gang um einen Aufbau mit Bullaugen herum, den ein erfahrener Seemann zweifellos gleich identifiziert hätte, während er für mich so mysteriös war wie ein Damenkränzchen.
Instinktiv ahnte ich, dass ich weniger in Gefahr war, auf irgendjemanden zu treffen, wenn ich nicht dort hinaufging, sondern unter Deck verschwand. Mittschiffs sah ich eine Tür, durch die ich wahrscheinlich dorthin gelangte, wo ich hinwollte.
Um sie zu erreichen, musste ich direkt im Licht und hinter
den beiden arbeitenden Männern das halbe Achterdeck überqueren, aber
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