Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
leichter atmete, entspannte ich mich nicht. Ich wusste, dass etwas Schreckliches auf mich zukam. Selbst wenn ich keine Schüsse oder Messerstiche abbekam, würde ich nach dieser Nacht Wunden haben, die niemals heilten.
Von ähnlichen Erlebnissen trug ich bereits andere Wunden. Um bedrohte Menschen zu beschützen, statt einer jener guten Zeitgenossen zu sein, die nichts tun, muss man bleibende Narben akzeptieren, die sich gelegentlich wieder öffnen und schmerzen.
Um jedoch etwas zu tun, und zwar das, was man als definitiv richtig empfindet, ist es manchmal nötig, Dinge zu tun, an die man sich in einsamen Nächten erinnert. Dann fragt man sich, ob man tatsächlich der gute Mensch ist, für den man sich hält.
Solche Zweifel sind Trumpfkarten auf der Hand des Teufels, und der weiß nur zu gut, wie er sie ausspielen muss, um
euch zu Verzweiflung und Gleichgültigkeit zu verführen, wenn nicht gar zur Selbstzerstörung.
Ozzie Boone, mein Freund und Mentor aus Pico Mundo, der selbst Schriftsteller ist, hat mir schon beim Verfassen meines ersten Manuskripts geraten, einen leichten Ton beizubehalten. Er meint, nur emotionell unreife und intellektuell verbogene Leser würden Geschichten genießen, die erbarmungslos grimmig und nihilistisch sind.
Wie ich schon gesagt habe - und wie ihr hoffentlich auch gesehen habt -, behalte ich normalerweise selbst bei trübem Himmel und widrigem Wind meine Liebe zum Leben und meine positive Perspektive. Ich kann über eine aufgeplatzte Lippe ebenso lachen wie über die Drohungen und Prahlereien eines sadistischen Polizeichefs.
Fairerweise muss ich gestehen, dass manche Ereignisse sich dem humoristischen Zugriff widersetzen, und wenn man darüber einen Scherz macht, so wird das Lachen nicht besonders fröhlich sein. Das war auch jetzt der Fall. Offenbar geriet ich gerade in ein raues Fahrwasser, in dem Gut und Böse sich so eng aneinanderschmiegten, dass sie womöglich schwerer voneinander zu unterscheiden waren als gewöhnlich.
Auf der Fahrt durch die Bucht und aufs offene Meer hinaus blieb ich ohne Licht im Bauch des Schleppers hocken. Trotz des Lärms, der an meiner Konzentration hämmerte, benutzte ich die Zeit, um darüber nachzugrübeln, was ich an Bord bisher erfahren hatte.
Die Jacht namens Junie’s Moonbeam wartete offenbar nur wenige Meilen von der Küste entfernt, denn die Maschinen wurden früher gedrosselt, als ich erwartet hatte. Das Boot, das bisher einem ziemlich geradlinigen Kurs gefolgt war, begann zu manövrieren. Man brachte die beiden Schiffe also Seite an Seite, um die Bomben umzuladen.
Hier draußen über der Tiefe schien der Pazifik fast ebenso ruhig zu sein, wie er es den ganzen Tag über an der Küste gewesen war. Bei leichtem Seegang würde der Vorgang nicht lange dauern.
Ich erhob mich und bewegte mich vorsichtig durch den stockfinsteren Raum, weil jede Oberfläche, die vorher keine Gefahr dargestellt hatte, nun glühend heiß sein konnte. Dabei behielt ich ständig das Bild der Tür im Sinn, damit mein Magnetismus mich durch das Labyrinth dorthin führte.
Nach einer Weile spürte ich den Impuls, die Hand nach dem Türgriff auszustrecken, den ich nach kurzem Tasten auch fand.
Als ich die Tür einen Spalt weit aufdrückte, war der Gang verlassen. Joey befand sich bekanntlich an seinem Funkgerät, während Utgard und die drei anderen auf Deck waren, um die Ladung in Empfang zu nehmen.
Ich trat zur ersten Tür links, drückte den Griff nieder, stieß sie mit der Schulter auf und sprang hinein, die Pistole in beiden Händen.
Der Raum war dunkel, doch über das Bullauge strich Licht. An einer leeren Koje entlang tastete ich mich dorthin.
Bord an Bord mit unserem Schlepper lag Junie’s Moonbeam , etwa drei Meter weit entfernt. Im Nebel wäre die wei ße Jacht perfekt getarnt gewesen, wären nicht sämtliche Bullaugen und Fenster so hell erleuchtet gewesen wie die eines Kreuzfahrtschiffs.
An die Kante des Hauptdecks hatte die Crew der Jacht aufblasbare schwarze Gummielemente gehängt. Sie dienten offenbar als Schutz, falls die Boote von einer unerwartet hohen Welle zusammengedrängt wurden.
Ich kehrte in den Gang zurück, zog leise die Tür zu und trat zur ersten Tür gegenüber. Dort machte ich mich schussbereit,
doch als die Tür aufschwang, war es dahinter wieder dunkel.
Erst im letzten Raum rechts brannte gedämpftes Lampenlicht. Als ich eintrat, hob Joey ungläubig den Blick von einer Fotostory in einer Männerzeitschrift.
Ich ließ die Tür
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